Nation

Definition


Die Unterteilung der Welt in Nationen ist eines der wichtigsten Ordnungssysteme der Menschheit. Nicht nur bei politischen Entscheidungen auf internationaler Ebene, sondern auch bei Sportereignissen wie der Fußball-WM werden Nationen immer wieder als ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen genutzt. Der Begriff Nation wird dabei in der Regel so verwendet, als ob alle Menschen das gleiche darunter verstehen würden. Dies ist allerdings nicht zwangsläufig der Fall. Der Begriff Nation kann in zwei Richtungen definiert werden:

1) Eine Nation als eine historisch gewachsene Gemeinschaft der Staatsbürger*innen eines Landes, die als eine Großgruppe von Menschen über gleiche Merkmale wie Kultur oder Sprache verfügen. Diese Definition sieht den Begriff Nation nah an dem Volk.
2) Die Nation als ein eigen- und selbstständiges Staatswesen, die alle Funktionen und Institutionen eines Staates umfasst. Diese Definition sieht den Begriff Nation ähnlich zu dem Begriff Nationalstaat.

Der Begriff hat sich allerdings in der Vergangenheit verändert. Die heutige Verwendung des Begriffes ist stark durch die europäische Nationenbildung des 19. Jahrhunderts geprägt. Es existieren allerdings auch andere Verständnisse des Begriffes, die Nation deutlich offener und weniger starr definieren.

Etymologie


Das deutsche Wort Nation entstammt aus dem französischen Wort Nation, das wiederum aus dem lateinischen Natio kommt. An der Begriffsgeschichte des Wortes Nation lässt sich auch sehr gut die Bedeutungsgeschichte ablesen. Bis ins 14. Jahrhundert hinein wurde unter dem lateinischen Wort Natio ein Volk oder ein Stamm bezeichnet. Nachdem es ab 1400 ins Französische übertragen wurde, änderte sich auch die Bedeutung. Ab dann beschrieb der Begriff Nation alle Personen, die in einem Land oder Gebiet geboren wurden. Unter dem Einfluss der Aufklärung und der damit einhergehenden Staatstheorie wandelte sich die Bedeutung erneut und Nation wurde nun als eine Gemeinschaft verstanden, die aufgrund einer Gleichheit in den Bereichen Sprache, Kultur, Territorium, Gesetzgebung und Regierung besteht. Mit dieser Bedeutungsverschiebung ging auch die zunehmende Identifikation mit der individuellen Nation einher, die dabei auch immer Elemente des Ausschlusses anderer aus der eigenen Nation enthielt (siehe Othering).

Nach einem europäischen Verständnis zeichnet sich eine Nation demnach durch einen möglichst hohen Grad an Gleicheit und Einheitlichkeit in verschiedenen Kategorien aus. Darüber hinaus bestehen Nationen immer in festen und unverrückbaren Grenzen. Dies wird als Territorialprinzip beschrieben. Dieses europäische Nationenverständnis entstammt dem britischen und französischen Rechtsverständnis des 19. Jahrhunderts, also auch aus der Zeit des Imperialismus. Es kann demnach ein Zusammenhang zwischen dem Kolonialismus und der Bildung von Nationalstaaten gezogen werden.

Aus postkolonialer Sicht muss das Konzept Nation immer kritisch betrachtet werden. Die Kolonisation großer Teile des globalen Südens war nur durch das europäische Verständnis möglich, sie würden eine Terra incognita, also ein Gebiet ohne einen*e Besitzer*in kolonisieren. Dies entsprach in den meisten Fällen allerdings nicht der Wahrheit. In großem Umfang wurden indigene Formen des Landbesitzes oder der Landnutzung ignoriert und die betreffenden Gebiete ohne Absprache in Besitz genommen. Später wurde dieses annektierte Land durch Zäune oder Grenzen umzäunt, ohne dabei auf Gebiete, die zuvor zusammenhingen, Rücksicht zu nehmen.

Eine solche Einteilung der Kontinente durch Grenzen, Zäune und Barrieren führte zu Einschränkungen der Lebensweise einzelner indigener Ethnie. So gab es beispielsweise vor der europäischen Kolonisation des afrikanischen Kontinentes verschiedene Ethnien, die in nomadischer Lebensweise Land- und Viehwirtschaft betrieben. Dadurch, dass im Zuge der Kolonialisierung des afrikanischen Kontinentes nun feste und teilweise unüberwindbare Grenzen durch ihren Bewirtschaftungsraum gezogen wurden, wurden den nomadischen Völkern ein großer Teil ihrer Lebensgrundlage genommen.

In vorkolonialer Zeit existierten im globalen Süden andere Formen und Konzepte von Nationen. Diese Konzepte zeichneten sich oftmals dadurch aus, dass sie nicht einem starren Verständnis von Herrschaftsausübung innerhalb einer Nation folgten. Die Identifikation mit einer Nation war demnach deutlich flexibler und nicht durch Geburt bestimmt. Die einzelnen Familien ordneten sich vielmehr denjenigen Herrschenden – und damit auch deren Nationen - unter, die für ihre Sicherheit garantieren konnten. Dadurch war es beispielsweise möglich, dass innerhalb eines Gebietes, die Angehörigen verschiedener Herrschaftsbereiche lebten und diese ihre Zugehörigkeiten auch mehrmals wechseln konnten. Erst durch die Festlegung von Grenzen durch die europäischen Kolonisator*innen, die auch mit der Schaffung eines Verwaltungsapparates und später der Ausstellung von Reisepässen einherging, wurde diese Flexibilität eingeschränkt.

Im Zuge der Dekolonisation kam es im globalen Süden oftmals zu einem wiedersprüchlichen Verhältnis zu dem Nationenbegriff. So kam es innerhalb der Unabhängigkeitsbewegungen immer wieder zu internen Kämpfen über die Ausgestaltung eines Nationalstaates. Dabei wurden die Ideen antikolonialer Kämpfer*innen mit lokalen Philosoph*innen und dem kolonialen status qou gemischt. Im Laufe der Dekolonisation zeigte sich allerdings die Wirkmächtigkeit des europäischen Nationenbegriffs, da die neu geschaffenen Staaten eine Legitimationsgrundlage benötigten, um auf globaler Ebene akzeptiert zu werden.

Empfehlungen für den gegenwärtigen Sprachgebrauch


Der Begriff Nation hat sich in einem Verständnis des globalen Nordens weltweit durchgesetzt und ist auf globaler Ebene von Bedeutung. Daher kann der Begriff Nation sowohl im schulischen- wie auch im universitären Kontext verwendet werden. Auch eine Weiterverwendung in der Quellenanalyse ist problemlos möglich. Allerdings bedarf es im postkolonialen Kontext einer kritischen Betrachtung des Begriffes. Die heutige Verwendung des Begriffes Nation ist stark durch eine eurozentrische Perspektive geprägt. In vorkolonialer Zeit existierten allerdings sowohl im globalen Süden als auch im globalen Norden andere Definitionen und Verständnisse des Begriffes Nation. So wurde Nation beispielsweise nicht zwangsläufig als ein abgeschlossenes Territorium oder Land betrachtet, in dem eine einheitliche Kultur vorherrscht. Dies ist insbesondere bei der Quellenarbeit zu bedenken. In dem Verständnis des globalen Nordens werden Nationen oftmals als ein festes und unverrückbares Unterscheidungsmerkmal gesehen. Aus postkolonialer Sicht muss dies allerdings hinterfragt werden. Eine postkoloniale Quellenarbeit, die den Begriff Nation thematisiert, muss vielmehr immer die Quelle auf ihre Standortgebundenheit überprüfen, den Nationenbegriff historisieren und der den Prinzipien der kritischen postkolonialen Analyse folgen.

Literatur


Dhawan, Nikita: Postkoloniale Staaten, Zivilgesellschaft und Subalternität: https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/postkolonialismus-und-globalgeschichte/236620/postkoloniale-staaten (25.06.2021)

Conrad, Sebastian: Kolonialismus und Postkolonialismus: Schlüsselbegriffe der aktuellen Debatte: https://www.bpb.de/apuz/146971/kolonialismus-und-postkolonialismus (25.06.2021)

Varela, Maria do Mar Castro; Dhawan, Nikita: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. Bielefeld 2020.

Young, Robert J.C.: Postcolonialism. A Very Short Introduction. Oxford 2020.

„Nation“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Nation>, abgerufen am 08.07.2021.

Zuletzt geändert am 08.07.2021 12:22 Uhr
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