Eingeborene

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Definition


„Eingeborene“ werden im Duden als die „Angehörigen eines Naturvolkes“ bezeichnet oder auch synonym für „Ureinwohner*in“ oder auch „Einheimische“ verwendet. Als „Eingeborene“ werden ebenso die Nachfahren einer Bevölkerung vor der Kolonisation oder Eroberung eines Gebietes, auf dem (Kolonial-)Staaten gegründet wurden, bezeichnet.



Einordnung


Nach Angaben des digitalen Wörterbuches der deutschen Sprache liegt der Ursprung des Wortes im deutschen Sprachgebrauch im 18. Jahrhundert und erlebte vor allem im 19. Jahrhundert durch die Kolonisierung afrikanischer Gebiete eine Hochphase. Bereits der Duden weist allerdings auf seiner Homepage darauf hin, dass das Wort diskriminierend aufgefasst werden kann. Im deutschen Kolonial-Lexikon unterstreicht der Eintrag zum Wort „Eingeborene“ die negative Konnotation des Wortes, in dem „Eingeborene“ als die „von den Europäern angetroffene Bevölkerung“ in den jeweiligen „fremden Ländern“ bezeichnet werden. Dadurch ergibt sich die Hierarchisierung zwischen den Europäer*innen und der Bevölkerung in den Kolonien, welche nicht nur auf Äußerlichkeiten beschränkt war („E[ingeborene]. haben an sich keinen Anteil an der Rechtsordnung der Weißen.“, Deutsches Kolonial-Lexikon: Eingeborene). Die Bezeichnung von Personengruppen als „Eingeborene“ drückt also vor allem im kolonialen Diskurs die Andersartigkeit einer Person aus und grenzt jene von der eigenen Identität ab. Diese Alteritätskonstruktion durch das Trennen von einer „Wir-„ und „Ihr-Gruppe“ wird als „Othering“ bezeichnet (Staszak 2008, S. 43).


Das Wort „Eingeborene“ suggeriert eine primitive und einfache Lebensweise der betreffenden Bevölkerung (Kraas 2002, S. 8), die vor allem in Quellen wie etwa Reiseberichten zur Beschreibung der dort lebenden afrikanischen Bevölkerung von den Europäer*innen wiederzufinden ist und in denen die kognitive als auch zivilisatorische Differenz deutlich gemacht wurde (Lauer 2009, S. 203). Dies unterstreicht beispielsweise ein Reisebericht des deutschen Botanikers Georg Schweinfurths, der 1884 festhielt: „So vermochte ich bisher noch nicht Dagewesenes zu leisten und den Eingeborenen ein Beispiel zu liefern von der beispiellosen Produktivität ihres Bodens“ (Schweinfurth 1974, S. 72).
Schweinfurths Äußerungen decken sich mit den Bewertungen einiger Historiker*innen in Bezug auf die deutsche Kolonialsprache: Mit Wörtern wie „Eingeborene“ wird eine undefinierte „Masse“ adressiert, denen ein „funktionalisierendes Element im System der diktierten kolonialen Gesellschaft“ zugutekam (Waßmuth 2009, S. 340f). Ferner wurden ihre „Werte und Wertvorstellungen“ ignoriert und es mangelte an Versuchen, ihre Sitten, Geschichte oder auch räumliche Lebensbedingungen zu verstehen (Waßmuth 2009, S. 341).
Bei der Verwendung des Wortes „Eingeborene“ liegt eine Fokussierung auf die Fremdbezeichnung und vor allem Hierarchisierung anderer Bevölkerungsgruppen vor, die auch bei anderen Wörtern wie etwa “Kolonisierte” festzustellen ist. Diese sprachliche Trennung wird besonders sichtbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es im deutschen Kultur- und Sprachraum undenkbar scheint, Bevölkerungsgruppen innerhalb Deutschlands als „Eingeborene“ zu bezeichnen; Hier wird im Deutschen beispielsweise zwischen Sorb*innen oder Elsässer*innen unterschieden (Arndt 2009, S. 310).



Empfehlungen/Anregung für den gegenwärtigen Sprachgebrauch


Aus den bereits dargelegten Gründen ist von einer Verwendung des Wortes „Eingeborene“ abzusehen. Gleichwohl ist anzumerken, dass eine Unsicherheit besteht, welche Alternativen zu diesem Wort in den alltäglichen Sprachgebrauch integriert werden könnten. Dies lässt sich beispielsweise an deutschen Schulgeschichtsbüchern festmachen, die die Wörter „Ureinwohner*innen“, „Eingeborene“ sowie „Einheimische“ teilweise synonym verwenden (vgl. Brückner/Focke 2011, S. 44ff; Stello 2017, S. 210ff), auch wenn die Begriffe „Eingeborene“ und „Einheimische“ in Anführungszeichen angegeben werden (ebd.). Den Vorschlag Frauke Kraas, den Terminus indigene Bevölkerung/indigene Völker zu verwenden ist dahingehend zu unterstützen, da diese die Kriterien des Wortes „Eingeborene“ ebenso erfüllen und die Personengruppen sprachlich nicht diffamiert (Kraas 2002, S. 8). Kritisch wäre allerdings diesbezüglich der Zusatz „Völker“ anzumerken, da diese Bezeichnung ebenso nicht unreflektiert verwendet werden könne. Die Verwendung des Wortes „Indigene“ – ohne den Zusatz „Völker“ – ist derweil noch nicht im Sprachgebrauch integriert. Menschliche Zusammenschlüsse als “Communities” zu bezeichnen, erfährt ebenso mehr und mehr Aufmerksamkeit, jedoch wäre hierbei kritisch anzumerken, dass englischsprachige Begriffe im postkolonialen deutschen Sprachgebrauch vor allem unter englischsprachigen Sprechenden verbreitet sind und nicht zwangsläufig die gesamte Bevölkerung “erreichen”. Der fachsprachliche Begriff „Autochthone” eignet sich ebenso zum Gebrauch und er kann der Beschreibung des Dudens nach synonym zum Wort „Eingeborene“ verwendet werden. Während der Begriff in romanischen Sprachen wie dem Französischen bereits verwendet wird (les peuples autochtones), bedarf es für die Verwendung des Begriffes im Deutschen nicht nur ein Vorkommen dieser Bezeichnung in fachspezifischen Texten wie es bereits teilweise der Fall ist, sondern ebenso in Schulgeschichtsbüchern oder auch Zeitungsartikeln, die sich mit postkolonialen Themen auseinandersetzen.



Quelle


Schweinfurth, G. (1984): Im Herzen von Afrika. 1868-1871, hrsg. v. Herbert Gussenbauer. Tübingen/Basel (Erstveröffentlichung 1874).


Literatur


Arndt, S. (2009): Afrikafantasien, Wörter und Wörterbücher. Tradierte Schauplätze von ‚Rassen’theorien. In: Warnke, I. H. (Hrsg.): Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884-1919. Berlin, S. 293-314.

Brückner, D./Focke, H. (Hrsgg.) (2013): Das waren Zeiten 3. Deutschland, Europa und die Gegenwart von 1871 bis zur Gegenwart. Bamberg.

Kraas, F. (2002): Indigene Völker. In: PGM 146, S. 8-15.

Lauer, H. (2009): Die sprachliche Vereinnahmung des afrikanischen Raums im deutschen Kolonialismus. In: Warnke, I. H. (Hrsg.): Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884-1919. Berlin, S. 203-235.

Staszak, J.-F. (2008): Other/otherness. In: Kitchen, R./ Thrift, N. (Hrsgg.): International Encyclopedia of Human Geography. Amsterdam, S. 43-47.

Stello, B. (Hrsg.) ( 2017): Geschichte entdecken 2. Geschichte für die Sekundarstufe I. Bamberg.

Waßmuth, I. G. (2009): Afrikaner als Produkt kolonisatorischen Sprechens in Kolonie und Heimat. In: Warnke, I. H. (Hrsg.): Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884-1919. Berlin, S. 315-349.


Internetseiten


„Autochthone“, in: Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/autochthon, zuletzt aufgerufen 02/06/2021.

„Eingeborene“, in: Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/Eingeborene, zuletzt aufgerufen 02/06/2021.

„Eingeborene“, in: DWDS, https://www.dwds.de/wb/Eingeborene, zuletzt aufgerufen 02/06/2021.

„Eingeborene“, in: Deutsches Kolonial-Lexikon, http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/Standardframeseite.php, zuletzt aufgerufen 02/06/2021.

Zuletzt geändert am 06.07.2021 15:42 Uhr
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