Kolonisierte

Kolonisierte, der, die




Definition


Unter „Kolonisierte” werden diejenigen Menschengruppen verstanden, die von fremden externen Kolonialmächten unterworfen wurden.

Bei dem Wort „Kolonisierte*r” handelt es sich um eine Partizipform, wodurch das Wort adjektivische Eigenschaften erhält und gleichzeitig Eigenschaften des Ursprungsverbes beibehält. Als eigenständiges Wort ist der Begriff „Kolonisierte*r” nicht im Duden oder anderen Wörterbüchern zu finden, jedoch findet er in der Literatur, insbesondere in der Geschichtswissenschaft, Anwendung. Abgeleitet von den Begriffen „Kolonie” (auswärtige Besitzung eines Staates, die politisch und wirtschaftlich von ihm abhängig ist) und „kolonisieren” (1. ein Gebiet zu einer Kolonie machen 2. urbar machen, besiedeln und wirtschaftlich erschließen), sind mit „Kolonisierte” diejenigen gemeint, die in ihrem Land von auswärtigen „Kolonisator*innen” (1. jemand, der führend an der Gründung und Entwicklung von Kolonien beteiligt ist 2. jemand, der ein Gebiet kolonisiert) ‘unterworfen’ werden.



Einordnung


Das Wort ist aus dem Lateinischen colōnia (16. Jh.) für „Bauerngut, Pachtgut, Ansiedlung, Niederlassung” und eventuell aus dem Mittelfranzösischen colonie entlehnt, welches zuerst für griechische und römische Kolonien und seit dem 16. Jahrhundert für spanische und portugiesische Überseekolonien Verwendung fand.
Im Weiteren wurde den „Kolonisierten” Faulheit unterstellt (Memmi 1994, S. 123). In Kolonien erhielten „Kolonisierte” oftmals weniger Einkommen als „Kolonisatoren” (Memmi 1994, S. 124). „Kolonisatoren” wollten v.a. von der Arbeitskraft der „Kolonisierten” profitieren (Memmi 1994, S. 124).
Auch sprachlich werden die „Kolonisierten” als „Nicht-Menschen” wahrgenommen.
Der Begriff „Kolonisierte*r” ist vermehrt ab den 1960er Jahren in historischen Texten zu finden. Davor wurden vermehrt das Verb „kolonisieren” bzw. das Adjektiv „kolonisiert” verwendet. 1939 findet sich das Wort „Kolonisierte” in „Europa. Afrika” (Bernatzik, Hugo 1994, S. 56). Den „Kolonisierten” steht hierbei der „Kolonisator” (in späterer Forschung der „Kolonisierer”), also jener, der die „Kolonisierten” unterwirft, gegenüber. Dies wird von der Forschung, besonders ab den 1960ern, fortgeführt. Noch 1967 wurde den „Kolonisierten” eine Aggressivität unterstellt. Durch die Verwendung der Begriffe „Kolonisierte*r” und „Kolonisator*in” kam es in der Postkolonialzeit zu einer Mythologisierung der „Kolonisierten”: Ihnen wurden Machtlosigkeit und Unselbstständigkeit zugesprochen. Dies wurde immer wieder in der Forschung diskutiert. Sie würden oft als homogenisierte Gruppe und nicht als Individuen betrachtet werden (Waßmuth 2009, S. 332).
Ab 1989 wurde der sogenannten „Opfer-Mythos” konkretisiert, nach welchem den „Kolonisierten” lediglich der Widerstand und die Kollaboration als einzige Handlungsspielräume offen stünden.
Erst 1994 widmete sich Frederick Cooper der Problematik der dichotomen Sichtweise. Daraufhin begann diese langsam aufzubrechen. Cooper kritisiert am „Opfer-Mythos” die den „Kolonisator*innen” unterstellte ‘Übermächtigkeit’, die die Gegenwart und Zukunft der „Kolonisierten” vorgibt.
Anna Brandstetter folgt Coopers Kritik und bemerkt, dass es kaum Forschungsarbeiten jenseits einer dichotomosierenden Betrachtung von „Kolonisator*in” und „Kolonisierten” gibt. (S. 86). Nichtsdestotrotz dürfte der Begriff „Kolonisierte*r”, von den Fachbereichen abgesehen, der Allgemeinheit entweder unbekannt oder nicht negativ konnotiert sein



Empfehlungen/Anregung für den gegenwärtigen Sprachgebrauch


Problematisch dabei ist die Verallgemeinerung des Begriffs „Kolonisierte*r”. Die historische Forschung zeigt, dass es eben nicht zwei getrennte Gruppen, nämlich die „Kolonisierer” bzw. die „Kolonisator*innen”, und die „Kolonisierten” gibt, sondern koloniale Akteure auf unterschiedlichste Art miteinander in Verbindung standen und sich ihren Handlungsspielraum auf einer individuellen Ebene selbst schaffen konnten. Dazu müsste sich ein Neologismus oder alternatives Wort von der Homogenisierung der „Kolonisierten” entfernen. Aufgrund unterschiedlicher Gegebenheiten der „Kolonisierten” wie bspw. sozialer Herkunft, ökonomischer Lebenslagen und geographischer Unterschiede des Lebensraumes sowie sprachlicher und kultureller Heterogenität, sollten, ähnlich der „Wir-Betrachtung” des Begriffs „Ethnie”, moderne und neutrale Begriffe, die auf das kolonisierte Individuum und nicht das kolonisierte Kollektiv abzielen, etabliert werden. Es sollten in dem Zusammenhang aus individueller Sicht möglicherweise von Autochthonen und aus kollektiver Sicht von „Communities” gesprochen werden, um eine neutralere und nicht homogenisierende Bezeichnung zu ermöglichen. Im schulischen bzw. universitären Bereich sollte den Lernenden die Problematik des Begriffs erläutert werden.



Literatur


Memmi, A./ Gordimer, N.; Sartre, J.-P. (Hrsg.): Der Kolonisator und der Kolonisierte: zwei Portraits. Mit einem Vorwort von Jean-Paul Sartre und einem Nachwort des Autors zur deutschen Ausgabe. Aus dem Französischen übersetzt von Udo Rennert. Hamburg 1994.

Brandstetter, A.-M.: Kolonialismus. Wider die vereinfachenden Dichotomien, in: Deutsch, Jan-Georg; Albert Wirz (Hrsg.): Geschichte in Afrika. Einführung in Probleme und Debatten. Das Arab. Buch. S. 75-107.

Heinz, M. (1999): Der fundamentale Irrtum im „ethnischen Diskurs“. Wilhelm Heitmeyers unkritischer Umgang mit einem undefinierten Begriff. In: Bukow, W.-D./ Ottersbach, M. (Hrsg.): Der Fundamentalismusverdacht. Plädoyer für eine Neuorientierung der Forschung im Umgang mit allochthonen Jugendlichen, Wiesbaden, S. 159-177.

Waßmuth, I. G. (2009): Afrikaner als Produkt kolonisatorischen Sprechens in Kolonie und Heimat. In: Warnke, I. H. (Hrsg.): Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884-1919. Berlin, S. 315-349.


Internetseiten


„Kolonisator” in: Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/Kolonisator, zuletzt aufgerufen 15/06/21.

„kolonisieren”, in: Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/kolonisieren zuletzt aufgerufen 15/06/21.

„Kolonie”, in: Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/Kolonie zuletzt aufgerufen 15/6/21.

https://www.google.de/books/edition/Europa_Afrika/wf4DAAAAMAAJ?hl=de&gbpv=1&bsq=%22kolonisierte%22&dq=%22kolonisierte%22&printsec=frontcover zuletzt aufgerufen 22/6/21.

Zuletzt geändert am 09.07.2021 13:45 Uhr
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