Häuptling

Definition


Als einen ‚Häuptling‘ bezeichnet man ein führendes Mitglied von Gesellschaften ohne ausgeprägtes Staatswesen. Dieser Sammelbegriff war während der Kolonialisierung seitens der Europäer etabliert worden und umfasst Anführer oder Oberhäupter, die je nach Ethnie, Kultur und Herrschaftssystem stark in ihrer Funktion und Machtfülle variieren. Des Weiteren wird der Begriff als eine spöttische Bezeichnung für die Leiter von Organisationen, Verbänden, o.ä. verwendet.

Einordnung


Der Wortstamm Haupt hat seinen Ursprung im lateinischen ‚caput‘ (Kopf, Haupt) und dem germanischen ‚habuþa‘. Im 8. Jahrhundert findet im Althochdeutschen das Wort ‚houbit‘ Verwendung. Es ist von einer ähnlichen Bedeutungsentwicklung wie bei ‚Kopf‘ auszugehen, wobei die Ausgangsbedeutung bei ‚Schalenförmiges, Gefäß‘ liegt. So ist bis zum 15. Jahrhundert Haupt das einzige Wort für ‚Kopf‘ gewesen und wurde von da an durch diesen immer mehr verdrängt. Als gehobener Ausdruck bleibt Haupt jedoch bis heute erhalten.

Für den Begriff Häuptling findet sich bereits im Altfriesischen der Ausdruck ‚hāvding, hāvdling‘ für die Mitglieder des Adels. Während der Häuptling bis ins 17. Jahrhundert als Synonym für ‚Anführer, Familienoberhaupt‘ stand, änderte sich die Wortbedeutung im Kontext des Wirkens des amerikanischen Schriftstellers James Cooper. Seine Werke, besonders die sehr erfolgreichen Lederstrupf-Romane, befassten sich in romantisierter Form mit der Erschließung des amerikanischen Westens durch die weißen Siedler und erfuhren große Beachtung in Europa. Viele deutsche Autoren von Abenteuerromanen, wie z. B. Karl May, ließen sich von Coopers Beschreibungen in ihrer eigenen Darstellung leiten. In Folge dieser Entwicklung etablierte sich im Englischen die Verwendung des Begriffes ‚chief‘ als die Bezeichnung für die Oberhäupter der indigenen Bevölkerung. Ursprünglich hatte dieser im schottischen Clanwesen einen Anführer betitelt. Dadurch setzte sich auch für die deutsche Übersetzung ‚Häuptling‘ die Bedeutung ‚Stammesoberhaupt eines Naturvolkes‘ durch. Da sich Coopers und Mays Romane zu einem großen Teil mit den nordamerikanischen Ureinwohnern (siehe Indianer) befassen, ist der Begriff ‚Häuptling‘ bis heute stark mit den Vorstellungen an diese Kulturen verknüpft.

Die Endung ‚-ling‘ verleiht dem Begriff eine verkleinernde Bedeutung (z. B. Neuling, Prüfling) sowie einen negativen Bezug (z. B. Feigling, Weichling). Die heutige Verwendung von Häuptling ist daher umstritten, auch weil dieser oft direkt mit Rückständigkeit verbunden wird.

Empfehlungen


Bereits durch diese abwertende Wortbedeutung an sich sowie die automatische Verknüpfung mit primitiven Gesellschaften ist der Begriff ‚Häuptling‘ für den heutigen Sprachgebrauch nicht mehr zu verwenden. Hinzu kommt, dass weibliche Herrscherinnen, wie sie in manchen Kulturen üblich gewesen sind, im Vorhinein ausgeschlossen werden. Dennoch ist diese Bezeichnung besonders im alltäglichen Gebrauch noch oft zu finden. Die verklärten Erzählungen von Cooper, May und weiteren haben bis heute in der Gesellschaft Bestand und treten in verschiedenen Formen wie z. B. Festspielen, Filmen und Kinderbüchern zu Tage.

Im Bereich der Wissenschaft hat eine zunehmend kritische Auseinandersetzung mit Benennungspraktiken der kolonialen Zeit dazu geführt, dass Fremdbezeichnungen als ein Akt kolonialer Inbesitznahme verstanden werden. Während Eigenbezeichnungen weitestgehend ignoriert wurden, bekamen Personen in leitenden Funktionen unterschiedlichster Machtfülle, Autorität und rechtlicher Stellung deutsche Bezeichnungen auferlegt. So konnte ein ‚Häuptling‘ sowohl ein Familienoberhaupt als auch der Herrscher eines großen Gebietes sein. Ihr politisches bzw. gesellschaftliches Leben wurde in die Vorstellungen von europäischen Nationalstaaten, die die Ideen von eindeutigen Grenzen und genau festgelegten Machtstrukturen mit sich trugen, eingegliedert. Indigene hatten in den Augen der Kolonialherren keine Stabilität, obwohl es sehr wohl auch ohne staatliche Strukturen komplexe politische Verflechtungen gegeben hatte.

Der ‚Häuptling‘ ist aufgrund seiner gedanklichen Nähe zum Rückständigen und seiner Funktion als Teil kolonialer Herrschaftspraxis zu vermeiden. Besonders im wissenschaftlichen Kontext ist eine passende Eigenbezeichnung immer vorzuziehen, um den gesellschaftlichen Umständen der jeweiligen Ethnie gerecht zu werden. Dies könnten z. B. ‚nkosi‘ auf Zulu, ‚mfalme‘ auf Swahili oder ‚itȟáŋčhaŋ‘ auf Lakota sein. Ist dies in einem Fall nicht möglich, sollte auf neutrale Begriffe wie beispielsweise Anführer, Oberhaupt oder Herrscher*in zurückgegriffen werden.

Referenzen und weiterführende Literatur:

• Krobb, Florian: „‘Chief’, wie der Häuptling, König oder Werftälteste genannt wird“, Benennungspraktiken in Prozessen kolonialer Raumaneignung, 2017, S. 89-110.

• Katalog der Deutsche Nationalbibliothek: Literatur von James Fenimore Cooper, https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118676865

Nützliche Links:

https://www.dwds.de/wb/H%C3%A4uptling (30.06.2021)

https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59407/afrikaterminologie (30.06.2021)

https://www.deutschlandfunk.de/jonas-jonasson-der-massai-ein-afrikaner-als-laecherliche.700.de.html?dram:article_id=488865 (01.07.2021)

Zuletzt geändert am 06.07.2021 10:20 Uhr
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