Definition
„entwickelt“ ist ein partizipiales Adjektiv zu dem Verb „entwickeln“, welches im allgemeinen Sinne „allmählich entstehen, sich stufenweise herausbilden“ bedeutet. Das Substantiv zu „entwickelt“ ist „Entwicklung“. Es herrscht, weder im wissenschaftlichen, noch im alltäglichen Bereich, Konsens darüber, was genau unter diesem Begriff zu verstehen ist, da er in vielen verschiedenen Bereichen Verwendung findet. Es handelt sich um einen vergleichenden Begriff, welcher den vorherigen Zustand und das Ergebnis eines Prozesses, beschreibt. Das Gegenstück zu „entwickelt“ ist „unterentwickelt“. Dieser Artikel bezieht sich auf die Wörter „entwickelt“ bzw. „unterentwickelt“ in Bezug auf Regionen oder Länder. Die Kriterien, die über den Grad der Entwicklung entscheiden, werden durch Macht-Divergenzen und Rassismus bestimmt. Die Wurzeln dieser Einteilung der Welt in „entwickelte“ und „unterentwickelte“ Bereiche liegen im Kolonialismus.
Etymologie
Der Begriff entstand im 16. Jh. und bedeutete zunächst so viel wie „aufwickeln, auseinanderfalten“. Es kam zu einer Bedeutungsverschiebung, so dass man ab dem 18. Jh. unter „entwickeln“ so viel wie „Entstehung, Entfaltung“ verstand. Mit neuen technischen Errungenschaften des 19. Jh. entstand eine Begriffserweiterung (Bsp. Foto entwickeln). Um das Jahr 1800 wurde der Begriff zur Verdeutschung von Evolution vorgeschlagen (ebenso Entwicklungslehre für Evolutionslehre). Seit ca. 1950, mit der Entstehung der „Entwicklungstheorie“, wird der Begriff auch zur Charakterisierung von „Entwicklungsländern“ und „Industrieländern" verwendet. Die Entwicklungstheorie wollte erklären, warum bestimmte Regionen oder Länder in Wirtschaft und Gesellschaft hinter anderen zurückbleiben. Diese Theorie hat ihren Ursprung im Merkantilismus des 16.Jh. Nach Ende des 2.Weltkriegs wurde auf amerikanischen Druck die Entkolonialisierung wieder aufgenommen. Es entstanden viele neue, eigenständige Staaten. Man glaubte, dass sich diese Länder erst wirtschaftlich und gesellschaftlich „entwickeln“ müssten. Die Entwicklung Westeuropas und Nordamerikas wurde dabei zum Muster genommen. Modernisierungsanstrengungen, welche sich nicht an Demokratie und Marktwirtschaft orientierten, wie Kommunismus und Faschismus, wurden als negative Sonderfälle angesehen, welche nicht zum Erfolg führen könnten. Ab den 1980er Jahre wurde diese Theorie stark kritisiert. Im Zusammenhang mit dieser Kritik bildete sich ein komplett neuer Ansatz heraus („Post-Development“). Dieser stellte den kompletten Entwicklungsdiskurs in Frage und forderte dessen Abschaffung. Einer der berechtigten Kritikpunkte der Theorie ist, dass der Entwicklungsdiskurs in den meisten Fällen von nationalstaatlich abgegrenzten Gesellschaften ausgehe, welche sich in „entwickelt" und „unterentwickelt" einteilen lassen würden. Doch ist bereits dieser Ausgangspunkt, der Nationalstaat, ein europäisches Konstrukt aus dem 19. Jahrhundert. Diese Zweiteilung geht von einer universellen Entwicklungsskala aus und begreift die historischen Prozesse des sozialen Wandels in Westeuropa und Nordamerika als menschheitsgeschichtlichen Fortschritt. Die Entwicklungstheorie gilt daher als eurozentristisches Konstrukt. „Entwicklung" ist hierbei normativ positiv konnotiert.
Empfehlungen für den gegenwärtigen Sprachgebrauch
Wir empfehlen weder im Alltags- noch im Bildungssprachlichen Kontext von „entwickelten“ und „unterentwickelten“ Ländern zu sprechen, da diese Kategorisierung auf einer eurozentristischen Weltanschauung beruht und durch Macht-Divergenzen aus Zeiten des Kolonialismus geprägt wurde. Es ist möglich unterschiedliche Regionen und Länder nicht wertend und ohne diese Begrifflichkeiten zu beschreiben. Wichtig ist, dass wenn man die Entwicklungen von Ländern oder Regionen vergleichen oder beschreiben möchte, diese Beschreibung stets an feste Parameter zu knüpfen (Bsp. Bildungssystem, Digitalisierung). Auch der Begriff der Entwicklungsländer ist sprachlich problematisch, da dieser schnell als „rückständig“, „unterentwickelt“ oder „gar nicht entwickelt“ interpretiert werden kann. Siehe auch DritteWelt. Auf dieser Grundlage kann ein derartiger Begriff auf die Repräsentanten dieser Länder verletzend wirken. Wie bereits erwähnt, gibt es keinen einheitlichen Konsens darüber, was genau unter Entwicklung verstanden werden soll. Sicher ist, dass keinesfalls eine Entwicklung der Kulturen gemeint ist, sondern sich dieser Begriff auf wirtschaftliche, infrastrukturelle und soziale Entwicklung bezieht. Die Vereinten Nationen einigten sich auf den Begriff der weniger entwickelte Länder (less developed countries). Dieser Begriff bezieht sich auf die Parameter der Nahrungsmittelknappheit, Armut, kein oder mangelndes Gesundheitssystem, mangelhafte Bildungsmöglichkeiten und daher eine hohe Analphabetenquote, hohe Arbeitslosigkeit und ein insgesamt niedriger Lebensstandard. Wir empfehlen auch diesen Begriff, nur an diese Parameter geknüpft, zu verwenden. Ein weiteres Problem ist, dass der Begriff des „Entwicklungslandes“ suggeriert, dass sich diese Länder oder Regionen wirklich entwickeln. In einigen dieser weniger entwickelten Länder findet aber tatsächlich keine fortschreitende Entwicklung statt. Und selbst innerhalb eines Landes gibt es oft große Differenzen zwischen beispielweise der infrastrukturellen Entwicklung zwischen Großstädten und der Peripherie oder eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.
Literatur zum Weiterlesen
Menzel, Ulrich: Entwicklungstheorie. Geschichte und Hauptkontroversen; in: Tu Braunschweig (Hrsg.): Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialwissenschaften Nr.94, Braunschweig 2010.
Mürle, Holger: Entwicklungstheorie nach dem Scheitern der „großen Theorie“ ;in: Gh Duisburg (Hrsg.): INEF Report Heft 22, Duisburg 1997.
Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 6. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2016. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2016. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19220/entwicklungslaender (06.07.2021)