Definition
Durch den Begriff ‚Dritte Welt‘ werden im Vergleich zu (westlichen) Industriestaaten wirtschaftlich "unterentwickelte" Staaten bezeichnet, die besonders im sozialen, infrastrukturellen und politischen Bereich sowie hinsichtlich der Gesundheit und der Bildung deutliche Defizite aufweisen. Aktuell werden etwa 130 Staaten zu dieser Gruppe gezählt, die sich zumeist auf der Südhalbkugel befinden und deren Einwohner einen erheblichen Anteil der gesamten Erdbevölkerung ausmachen. Ursprünglich wurden durch den Begriff 'Dritte Welt' die blockfreien Staaten während des Kalten Krieges bezeichnet.
Einordnung
Der Begriff entstand 1946/47 zu Beginn des Kalten Krieges im Rahmen des Ost-West-Konflikts: Die beiden sich gegenüberstehenden Militärblöcke wurden als 'Erste Welt' (westliche Industriestaaten mit demokratischer Regierung) und 'Zweite Welt' (östliche Industriestaaten mit sozialistischer Regierung) bezeichnet. Aus der Vereinigung jener Länder, die keinem der beiden Machtblöcke angehörten, entstand der „Dritte Block“, die 'Dritte Welt'. Dieser Block entwickelte sich, da viele der nach Ende des Zweiten Weltkriegs neu entstandenen afrikanischen und asiatischen Staaten sich weder dem einen noch dem anderen Block politisch zugehörig fühlten. Somit bezieht sich der Ausdruck 'Dritte Welt' seiner ursprünglichen Bedeutung nach auf Blockfreiheit im Kalten Krieg.
In den 1950er Jahren wurde der Begriff der 'Dritten Welt' zudem in Bezug auf den 'Dritten Stand' verwendet, der sich in der französischen Revolution von der feudalen Unterdrückung befreit hatte. Der französische Schriftsteller und Vordenker der Entkolonialisierung Frantz Fanon prägte den Begriff 1961 so, dass er die 'Dritte Welt' in seinem Hauptwerk "Die Verdammten dieser Erde" mit Kolonisierten und Unterdrückten gleichstellte. Dieser Fokus besteht bis heute.
Die Abgrenzung der Industriestaaten von der 'Dritten Welt' reicht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Im Vergleich zu (westlichen) Industriestaaten gelten Staaten der ‚Dritten Welt‘ bis heute als wirtschaftlich rückständig; besonders die Länder der Südhalbkugel werden häufig als „unterentwickelte“ Staaten wahrgenommen. In diesem Zusammenhang wird bis heute der Begriff der ‚Dritten Welt‘ von Industriestaaten für Länder verwendet, die sie als weniger (wirtschaftlich, sozial, kulturell, politisch) entwickelt ansehen. Seit den 1990er Jahren wird die Bezeichnung ‚Dritte Welt‘ häufig zugunsten des Wortes ‚Entwicklungsländer‘ vermieden.
Zur Verdeutlichung der Unterschiedlichkeit der betreffenden Staaten wird seit 1971 zusätzlich die Bezeichnung der ‚Vierten Welt‘ (Least Developed Countries) in Abgrenzung zur ‚Dritten Welt‘ verwendet. Hierzu werden etwa 40, überwiegend afrikanische, Staaten gezählt, die auch im Vergleich zu anderen Ländern der ‚Dritten Welt‘ eine deutlich geringere Entwicklung aufweisen. Gleichzeitig etablierte sich der Ausdruck ‚Schwellenländer‘ (Newly Industrialized Countries) für diejenigen Staaten, die durch eine schnelle industrielle Entwicklung ein hohes Wirtschaftswachstum aufweisen können. Durch diese Unterteilungen wird deutlich, dass bereits Bestrebungen vorhanden sind, eine Vereinheitlichung der ehemals der ‚Dritten Welt‘ zugeordneten Staaten zu vermeiden.
Im heutigen Sprachgebrauch wird der Ausdruck ‚Entwicklungsland', der bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Synonym für die ‚Dritte Welt‘ aufkam, deutlich häufiger verwendet. Seit den 1990er Jahren wird angestrebt, die Begriffsverwendung der ‚Dritten Welt‘ zu stoppen und stattdessen nur noch den Ausdruck ‚Entwicklungsländer‘ zu verwenden, auch wenn nach wie vor einige Institutionen, wie beispielsweise das Informationszentrum 3. Welt, für die Bezeichnung ‚Dritte Welt‘ argumentieren (siehe dazu https://www.iz3w.org/wir_ueber_uns/der-begriff-201edritte-welt201c).
Empfehlung
Im Gegensatz zur freiwilligen Abgrenzung und möglichen Selbstbezeichnung der blockfreien Staaten im Ost-West-Konflikt kann der Ausdruck 'Dritte Welt' in der heutigen Verwendung nicht als Selbstbezeichnung der betreffenden Staaten verstanden werden. Durch sie erfolgt eine unfreiwillige Abgrenzung oder sogar Ausgrenzung einiger Länder der Welt. Sie werden, gemessen an den wissenschaftlichen und industriellen Standards der führenden Industrieländer, undifferenziert eingeordnet.
Entsprechend ist die Verwendung des Ausdrucks 'Dritte Welt' heute nicht mehr empfehlenswert.
Auch die bereits in den 1990er Jahren aufgekommenen begrifflichen Alternativen wie „der Süden“ sind problembehaftet und somit abzulehnen. Diese geographische Zuordnung ist ungenau; zudem wird fälschlicherweise eine Handlungseinheit der betreffenden Staaten vermittelt.
Auch der aktuell verwendete Begriff 'Entwicklungsland' sollte zu der inhaltlichen Frage führen, was darunter zu verstehen ist. Fragwürdig bleibt die Annahme, dass eine nachholende Entwicklung am Modell der Industrieländer das Ziel darstellen muss. Für die sogenannten Entwicklungsländer ist eine derartige Entwicklung nicht/ kaum realisierbar (siehe auch entwickelt).
Viele der 'Entwicklungsländer' wurden während des Kolonialismus durch die jeweiligen Kolonialmächte unterdrückt und ihrer politischen, ökonomischen und sozio-kulturellen Selbstständigkeit beraubt. Diese Strukturen der kolonialen Vergangenheit wirken bis heute in vielen 'Entwicklungsländern' nach, sodass die Erblast des Kolonialismus als eine Ursache für die an westlichen Maßstäben gemessen langsame Entwicklung gesehen werden muss.
Der Begriff 'Dritte Welt' ist wertbehaftet, hierarchisierend ("drittrangig") und hinsichtlich der Repräsentation dieser Staaten herabwürdigend.
Da es seit Beendigung des Kalten Krieges keine 'Erste und Zweite Welt' mehr gibt, ist der Begriff 'Dritte Welt' überflüssig.
Trotzdem muss auch bei der Bezeichnung als 'Entwicklungsland', besonders im universitären, schulischen, aber auch wissenschaftlichen Kontext, einerseits darauf geachtet werden, die ethno- und eurozentrische Perspektive dieses Begriffs zu berücksichtigen: Hierfür scheint ein erklärender Zusatz sinnvoll, der die Perspektivität verdeutlicht.
Beispiel:
b) Land Y, das auf Grund seiner (geringen) wirtschaftlichen Entwicklung von Industrieländern als 'Entwicklungsland' bezeichnet wird.
Andererseits werden im öffentlichen Diskurs oft soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Betrachtungsebenen miteinander vermischt und so ein einheitlicher Eindruck von vermeintlichen 'Entwicklungsländern' erzeugt. Daher sollte bei der Verwendung dieses Begriffes darauf geachtet werden, dass eine rein ökonomische Perspektive eingenommen wird, die sich auf klare Fakten wie beispielsweise das BIP stützt. Werden andere Faktoren einbezogen, sollte jedes Land individuell betrachtet und entsprechend auch bezeichnet werden, beispielsweise als "Land Z, das hinsichtlich seines Sozial- und Gesundheitswesens nach westlichen Standards als Entwicklungsland bezeichnet wird." Eine Alternative, die keine Unterschiede zwischen einzelnen Staaten impliziert, ist es, alle Staaten als Länder einer Welt anzusehen, was aber insbesondere im gesellschaftswissenschaftlichen Kontext nicht ausreichend differenzierend sein dürfte.
Für den schulischen sowie alltäglichen Gebrauch ist der Begriff 'Entwicklungsländer' ohne sprachliche Zusätze durchaus geeignet, wenn die vereinheitlichende Dimension mitgedacht wird. Für den wissenschaftlichen Kontext hingegen wird empfohlen, Perspektivität und Binnendifferenzierung auch sprachlich auszudrücken. Im historischen Zusammenhang seiner ursprünglichen Bedeutung hat der Begriff nach wie vor seine Berechtigung, auch wenn hier auf die treffendere Bezeichnung als blockfreie Staaten zurückgegriffen werden kann.
Weiterführende Literatur
Dülffer, J. (2003). Europa im Ost-West-Konflikt 1945-1991. In: Stöver, B. (Hrsg.) Der Kalte Krieg. München.
Nohlen, D. (2002). Lexikon Dritte Welt. In: unentbehrliches Nachschlagewerk zu Ländern, Begrifflichkeiten, Organisationen und Theorien. Reinbek bei Hamburg.
Nohlen, D./ Nuscheler, F. (1992). Handbuch Dritte Welt. Grundprobleme, Theorien, Strategien. Bd. I. Bonn.
Nützliche Links
https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19220/entwicklungslaender (28.06.21)
https://www.bpb.de/izpb/9040/entwicklung-und-entwicklungspolitik (28.06.21)
Entwicklungspolitik online
https://www.epo.de/ (28.06.21)
https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/der-kalte-krieg/ (28.06.21)