Zivilisierungsmission

Zivilisierungsmission, die




Definition


Im Zentrum einer ‚Zivilisierungsmission’ stand die Verantwortung der europäischen, privilegierten Minderheit, woraus sich der Gedanke entwickelte, dass jede Person, die von Natur aus unselbstständig oder unmündig sei, Führung von einer höheren ‚Rasse’ – folglich von der ‚europäischen Rasse’ – brauchen würde. Man unterscheidet dabei zwischen zwei Grundgedanken: Entweder dem civilization-building oder dem civilization-changing. Ersteres beinhaltet eine (Wieder-) Herstellung von Zivilisation, bei zweiterem geht es um eine Veränderung einer bereits bestehenden Zivilisation.



Einordnung


Der Neologismus ‚Zivilisierungsmission’ besteht aus den beiden zusammengesetzten Nomen ‚Zivilisierung’ und ‚Mission’ und lässt sich von dem französischen Wort Mission Civilisatrice und dem englischen Begriff Civilizing Mission ableiten. Der Ausdruck Mission Civilisatrice wurde um 1840 das erste Mal in das französische Lexikon eingetragen, um die zivilisatorischen Bemühungen in Algerien zu beschreiben. Im deutschsprachigen Raum wurde erstmals der Ausdruck ‚Kulturarbeit’ verwendet.
Etymologisch betrachtet, geht der Ausdruck ‚Mission’ auf den lateinischen Begriff Missio zurück, der mit dem deutschen Wort ‚Sendung’ übersetzt werden kann. Dieser Begriff ist religiös motiviert, da es bei der Sendung beziehungsweise Missionierung darum geht, andere Menschen zum eigenen Glauben zu bekehren und sie somit als neue Anhänger*innen der eigenen Religion zu gewinnen. Die Missionierung kann somit als eine Form der Zivilisierungsmission verstanden werden. Letztendlich beruht jedoch nicht jede Zivilisierungsmission auf religiösen Motiven. In jedem Falle wird die Person, Nation, etc., die eine Zivilisierungsmission betreibt, dennoch wie bei der Missionierung beauftragt, einen Sendungsauftrag zu verkünden und auszuführen oder sie entwickelt selbst das Bedürfnis danach.
Die ‚Zivilisierung’ impliziert, dass es ‚zivilisierte’ und ‚unzivilisierte’ Gesellschaften gebe. ‚Zivilisierte’ Gesellschaften definieren sich dabei durch einen stark ausgeprägten kulturellen Entwicklungsstand. Vermeintlich ‚unzivilisierten’ Gesellschaften wird damit ein kaum bis wenig ausgeprägter kultureller Entwicklungsstand zugeschrieben.
Diesem Grundgedanken machten sich die Träger von Zivilisierungsmissionen zu Nutze. Die Kolonialisten verstanden sich demnach als eine Master Culture, die das Recht besäßen, andere Menschen – jenseits der eigenen Staatsgrenzen – zu zivilisieren. Somit entwickelten sich Zivilisierungsmissionen aus der Überzeugung der eigenen kulturellen Überlegenheit in den westlichen Gesellschaften. Kolonialisten verstanden unter dem Begriff, dass es unter gewissen Gegebenheiten sowohl legitimierbar, als auch notwendig sein könnte, Zivilisierung durch die Intervention anderer Völker zu realisieren. Europa berief sich außerdem auf einen Sendungsglauben und eine Vormundschaftspflicht. Sozialdarwinistische Argumente wurden genutzt, um die Zivilisierung zu legitimieren, da es naturgegeben wäre, dass die angeblich ‚zivilisiertere Rasse’ die angeblich ‚unzivilisiertere’ beherrschte. Durch die Zivilisierungsmission konnte – mit der Begründung, dass sie dem Allgemeinwohl der Menschen dienen würde – der westliche Besitz von Kolonien gerechtfertigt werden.
Zivilisierungsmissionen sind jedoch nicht nur im Kontext des Kolonialismus präsent. Sie sind vielmehr Teil verschiedener Weltanschauungen wie zum Beispiel dem Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus und Imperialismus.



Empfehlung für den gegenwärtigen Sprachgebrauch


Der Begriff ‚Zivilisierungsmission’ ist nicht per se negativ konnotiert. Es gilt zu unterscheiden, aus welchen Gründen, diese stattfinden. Nicht jede beruht auf imperialistischen Motiven und ist somit als verwerflich zu charakterisieren (Beispiel: Kosovo-Krieg und der Eingriff der NATO). Im Allgemeinen kann somit festgehalten werden, dass Zivilisierungsmissionen gerechtfertigt werden können, unter der Voraussetzung, dass sie keinen totalitären Charakter aufweisen. Zudem sind sie legitimierbar, wenn sie zur Stabilisierung dienen und normative kulturelle Universalien verbreiten, ohne dabei pragmatische Ziele zu verfolgen, die gegen kulturellen Pluralismus sprechen. Damit sollten sie stattfinden bzw. gefördert werden, wenn es dabei um die Durchsetzung von Menschenrechten, wie das Recht auf Freiheit und Chancengleichheit geht.
Allerdings sind Zivilisierungsmissionen auch oft totalitär motiviert; dies erkennt man vor allem zur Zeit des Kolonialismus. Dabei kann, wie in der Definition bereits erwähnt, zwischen dem civilization-building und civilisation-changing unterschieden werden. Beim civilization-building liegt eine große Schwierigkeit darin, zu erkennen, inwiefern eigene Interessen der Kolonialisten durchgesetzt werden. Die Problematik beim civilization-changing ist die Vorstellung, dass eine bestimmte Leitkultur bestehen würde, nach der andere Gesellschaften ‚zivilisiert’ werden sollen. Zudem besteht hierbei die Gefahr der Konsequenzen des Kulturimperialismus. Darüber hinaus ist allein die Vorstellung eine Bevölkerung ‚zivilisieren’ zu wollen, als rassistisch zu charakterisieren, da im Zentrum der Zivilisierungsmission die Verantwortung und Pflicht der höheren Minderheit stand und die Idee, dass vermeintlich ‚rückständige Rassen’ Führung von einer ‚höheren Rasse’ brauchen würden. Die Idee der Zivilisierungsmission ist noch aus einem weiteren Grund problematisch: Sogenannte Master Cultures, die als Träger eben dieser Missionen gesehen werden, bestimmen Eigenschaften, die aus ihrer Sicht als zivilisiert gelten. Folgt man jedoch der Anschauung des Kulturrelativismus können Gesellschaften bzw. Kulturen nicht von anderen beurteilt werden. Zudem verhindern Zivilisierungsmissionen die kulturelle Vielfalt.
Vor allem der Begriff ‚Zivilisierung’, von dem sich die beiden Verben ‚zivilisiert’ versus ‚unzivilisiert’ ableiten ist sehr problematisch, da Gesellschaften nach dieser Definition eingeteilt werden, und somit rassistische Narrative gefördert werden. Die englisch-amerikanische Bezeichnung Civilizing Mission wird von Gegner*innen des Neokonservatismus in den USA stark negativ konnotiert. Sie verbinden mit dieser Idee das Ansichreißen der Weltherrschaft durch die USA.
Jedoch mangelt es auch an passenden Alternativen für diese Begrifflichkeit. Aufgrund der bereits genannten Gründe sollte der Ausdruck nicht im alltäglichen Gebrauch verwendet werden. Dazu sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass der Begriff in der Alltagssprache ohnehin kaum gebraucht wird und vielmehr im politischen sowie historischen Kontext Verwendung findet. Dennoch kann der Begriff ‚Zivilisierungsmission’ in wissenschaftlichen und politischen Diskursen, in Quellen- sowie Bildungssprache weiterhin verwenden werden, solange dieser stets kritisch reflektiert und kontextualisiert wird.




Literatur

Barth, Boris: Grenzen der Zivilisierungsmission, in: Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. v. Boris Barth u. Jürgen Osterhammel, Konstanz 2005 (Historische Kulturwissenschaft Bd. 6), S. 201-228.

Barth, Boris/Osterhammel, Jürgen: Vorwort, in: Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18 Jahrhundert, hrsg. von Boris Barth u. Jürgen Osterhammel, Konstanz 2005 (Historische Kulturwissenschaft Bd. 6), S. 7-11.

Osterhammel, Jürgen/ Jansen, Jan C.: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, 8. Aufl. München 2017.

Schröder, Wolfgang M.: Mission impossible? Begriff, Modelle und Begründungen der “civilizing mission” aus philosophischer Sicht, in: Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18 Jahrhundert, hrsg. von Boris Barth u. Jürgen Osterhammel, Konstanz 2005 (Historische Kulturwissenschaft Bd. 6), S. 13-32.

Zuletzt geändert am 12.07.2021 21:38 Uhr
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