Indio

Definition


Der Begriff Indio stellt eine Bezeichnung historischen Ursprungs für die autochthone Bevölkerung Lateinamerikas/Spanisch-Amerikas dar.

Etymologie


Der Begriff Indio ist spanischen Ursprungs und stellt einen Neologismus aus der Kolonialzeit dar, welcher auf den Entdecker Christoph Kolumbus zurückgeht. Dieser glaubte, 1492 in Indien an Land gegangen zu sein, wobei ihm zunächst nicht klar war, dass er einen neuen Kontinent entdeckt hatte – Amerika. Tatsächlich war zur damaligen Zeit mit dem Wort Indien nicht nur der indische Subkontinent gemeint, sondern der gesamte Osten Asiens, welcher über den westlichen Seeweg erreicht werden sollte. Obwohl es schnell offensichtlich wurde, dass Kolumbus keineswegs in Indien gelandet, sondern einen neuen Kontinent entdeckt hatte, bezeichnete man die entdeckten Territorien weiterhin als Las Indias. Auf gleiche Weise verfuhr man auch bei der Benennung des Indienrates El Consejo de Indias und bei der indigenen Bevölkerung, die weiterhin als Indios = Indianer bezeichnet wurden. Darüber hinaus wurden abwertende Begriffe wie „Wilde“, „Heiden“ oder, besonders in der Karibik, "Kannibalen" genutzt, um über die Nichtzugehörigkeit zu Zivilisation und Christentum eine Abgrenzung zu schaffen, damit diese wirksam als Legitimationsgrundlage für weitere Entdeckungsfahrten und vor allem Eroberungen instrumentalisiert werden konnte. Interessanterweise benutzte Kolumbus in seinem ersten Brief, den er während seiner ersten Entdeckungsfahrt schrieb, keine dieser Begrifflichkeiten. Nur gegen Ende des Briefes, in einem aufgrund des Satzbaus als Einschub zu deutenden Satz, benutzte er den Begriff „Heiden" (y serán de los idólatras). Ansonsten charakterisierte er die indigene Bevölkerung neutral bis positiv.

Im Gegensatz dazu bestand für die indigene Bevölkerung Amerikas bis zum Eintreffen der Europäer kein Anlass, einen allgemeinen Begriff für die Bevölkerung der Inseln der Karibik bzw. des Kontinents zu bilden. Selbst die Eigenbezeichnung vieler Gemeinschaften war häufig einfach nur gleichbedeutend mit dem Wort Mensch. Viele der heute gebräuchlichen Bezeichnungen für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gehen auf die Spanier zurück und ignorieren, sofern bekannt, deren Eigenbezeichnungen. Die Bewohner der Karibik tauchen in den spanischen Quellen für die Zeit nach Kolumbus als caribes (Kariben) auf, obwohl für diesen Stamm die Eigenbezeichnung Kalihna und Galibi bekannt waren. Zwar gab es bereits in präkolumbischer Zeit vielfältige Sammelbezeichnungen für Volksgruppen und verwandte Ethnien, aber erst angesichts der Kolonialisierung durch die Europäer entwickelten beispielsweise die indianischen Ethnien Nordamerikas ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl.

Internationale Verwendung

Im Spanischen existiert kein erkennbarer Unterschied zwischen den im deutschen Sprachgebrauch differenzierenden Begriffen Inder und Indianer – beide Bedeutungen werden mit dem Wort indio umschrieben. Um Missverständnissen entgegenzuwirken, werden Inder in fast allen lateinamerikanischen Ländern nicht als indios, sondern als hindú (Hindus) bezeichnet, obwohl dies eigentlich nur eine in Indien verbreitete Religionszugehörigkeit angibt. Zusätzlich werden die Begriffe amerindio, welcher vom französischen amérindien abgeleitet wurde, sowie die generelle Bezeichnung indígenas (span. ‚Indigene‘, ‚Ureinwohner‘) oder pueblos indígenas (span. ‚indigene Völker‘) verwendet. Auch im Englischen gibt es – wie im Spanischen – keine semantische Unterscheidung, weshalb als Abgrenzung zum Begriff Indians zunächst der Begriff Red Indians geprägt wurde. Dieser kann mit der deutschen Bezeichnung „Rothaut“ gleichgesetzt werden; sowohl der englische als auch der deutsche Begriff werden inzwischen als rassistisch aufgefasst und nicht mehr verwendet. Heutzutage hat sich im englischsprachigen Raum, vor allem in Amerika, die Verwendung Native Americans weitestgehend durchgesetzt. Im Deutschen assoziieren wir mit dem Begriff Indianer noch immer hauptsächlich die autochthone Bevölkerung Nordamerikas, während die in Mittel- und Südamerika lebende Bevölkerung zumeist als Indios bezeichnet wird. Auch hier gibt es allerdings eine rückläufige Entwicklung, was den tatsächlichen Gebrauch dieser Begriffe betrifft, da beide als rassistisch konnotiert zunehmend abgelehnt werden. Besonders die so bezeichneten Bevölkerungsgruppen lehnen jene Wendungen als von den spanischen und portugiesischen Kolonialherren auferlegte bzw. aufgezwungene Fremdbezeichnungen ab.

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Allgemeinhin wird der Begriff Indio inzwischen vorwiegend als rassistisch empfunden und infolgedessen vermieden bzw. gar nicht mehr verwendet. Grund dafür ist, wie bereits erwähnt, der Umstand, dass jener Terminus vielfach und zurecht als eine koloniale Fremdbezeichnung aufgefasst wird, welche von den so bezeichneten Bevölkerungsgruppen weder entwickelt wurde noch akzeptiert wird. Im Gegenteil verweist die Verwendung Indio vielmehr auf die damaligen Verhältnisse in Kolonialzeiten, in denen die Europäer der einheimischen Bevölkerung ihre Bräuche und Lebensweisen aufgezwungen und diese als minderwertig erachtet und entsprechend behandelt haben. Wie bereits unter Punkt 2 angesprochen, sind auch die meisten der Alternativverwendungen des Begriffs Indio inzwischen als rassistisch zurückgewiesen worden. Dies gilt sowohl für die englische Variante Red Indians, als auch für den spanischen Terminus indio sowie für die deutschen Begrifflichkeiten Indianer und Rothaut. Als Synonyme werden heutzutage die Bezeichnungen als indigene oder autochthone Bevölkerungen weitestgehend akzeptiert.

Trotz der Auffassung, dass der Begriff Indio allgemein als rassistisch empfunden wird, taucht der Begriff in einigen aktuellen Publikationen mit Themen zum Spanischen Kolonialreich auf. Diese Entwicklung lässt sich sowohl für den deutschsprachigen als auch für den anglophonen Raum feststellen.

Literatur


Christoph Kolumbus: Der erste Brief aus der Neuen Welt. Lateinisch-Deutsch mit spanischem Text, übersetzt, kommentiert und eingeleitet von Wallisch, Robert, Stuttgart 2000.

https://dle.rae.es/indio.

Schirrmacher, Jonas: Die Politik der Sklaverei. Praxis und Konflikt in Kastilien und Spanisch-Amerika im 16. Jahrhundert, Paderborn 2018.

Zuletzt geändert am 12.07.2021 12:15 Uhr
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