EdlerWilder

Definition

Die abwertende Bezeichnung 'Edler Wilder' beschreibt ein Topos europäischer Autoren, die anhand von Literatur ein Musterbeispiel eines unverdorbenen, naturverbundenen und friedlebenden Menschen eines indigenen Naturvolkes projizieren. Gleichzeitig soll jenes Bild europäische Gesellschaften kulturkritisch betrachten. Dennoch exotisiert und romantisiert diese Bezeichnung Menschengruppen und macht diese zu Objekten der Bewunderung.1 Die Unkenntnis über reale kulturelle Umstände und Praktiken der beschriebenen indigenen Völker verfestigt ein hegemoniales und homogenisierendes Bild von außereuropäischen Gesellschaften bei europäischen Betrachtenden, was eine erweiterte Wahrnehmung über diese Menschen verhindert.2

Einordnung in den wissenschaftlichen Kontext

Mit der Expansion europäischer Mächte gegen Ende des 15. Jahrhunderts, treffen europäische und indigene außereuropäische Gesellschaften aufeinander. Dies ist eine Voraussetzung für die Gegenüberstellung eines 'Edlen Wilden' mit der ‚Zivilisation‘. Die literarische Entwicklung dieses Idealbildes kann auf die vermehrten Kolonisationsbestrebungen, im 18. Jahrhundert, in den Amerikas zurückgeführt werden. Besondere Rollen spielen hierbei die Lederstrumpfromane von James Fenimore Cooper (1789- 1851) oder im deutschsprachigen Raum die Abenteuerromane von Karl May (1842- 1912).3

Die angebliche Geschichte indigener Bevölkerungen würde dadurch in Romanen festgehalten werden. Diese Unkenntnis bildet ein Geflecht aus kolonialem Wissen, das sich mittels der Literatur selbst (re-)produziert. Nichtsdestotrotz sind gegenwärtigen gesellschaftliche Wissensbestände über das angebliche Leben von ‚Indianern‘ immer noch von Erfindungen europäischer Autoren, wie die des 'Edlen Wilden', geprägt. Die fast gänzliche Ausrottung oder das Eindrängen indigener Bevölkerungen in Reservate ließ jedoch nicht die bis heute gesellschaftlich bekannten Mythen über ‚die Indianer‘ verschwinden.4 So würden vermehrt Mythen über dieses Abbild eines 'Edlen Wilden' verbreitet werden, die eine romantische Sehnsucht bei Europäern hervorrufen würde, aber nicht über die wirkliche Lebensweise von Menschen berichten.5 So kann die Bezeichnung auch bei anthropologischen Kreisen ein rassistisches Abbild eines 'Edlen Wilden' kreieren, die eine Stimmung schafft, um eine mögliche Versklavung oder Ausrottung einer Bevölkerung vorzubringen.6

Die Autoren schreiben dem 'Edlen Wilden' vermeintlich gutgemeinte Eigenschaften wie Naturverbundenheit, Friedlichkeit, Freiheit und Harmonie zu.7 Schon während des Beschreibungsprozesses des 'Edlen Wilden' besteht die Annahme eines Selbstverständnisses eines europäischen Betrachters. Die beschreibende Instanz bestimmt über die Eigenschaften des Idealbildes und nimmt sich den Anspruch für dessen Vormundschaft. Daraus resultiert eine Deutungshoheit, die im Kontext kolonialer Wissensbestände weitergetragen wird.8

Empfehlungen für den gegenwärtigen Sprachgebrauch

Die bereits beschriebene Bezeichnung stellt eindeutig eine koloniale Illusion dar, aus der im Rahmen einer Kulturkritik, ein abwertendes Topos resultiert. Der oder die Beschreibende vertritt ein Selbstverständnis der Deutungshoheit oder Vormundschaft über andere Menschen und Gesellschaften. Vor allem wegen der Beibehaltung einer bestimmenden Haltung innerhalb eines weißen Hierarchieverhältnisses, sollte die Nutzung dieser Bezeichnung vermieden werden. Allein die Kennzeichnung eines Gegenübers als ‚wild‘ würde eine bewusste Abwertung des Menschen zur Folge haben.

Verwendete Literatur

[1] Vgl. Weber, Christian: Ethnologie – Die Mär vom edlen Wilden 10/2016, veröffentlicht durch sueddeutsche.de, URL online unter: https://www.sueddeutsche.de/wissen/ethnologie-die-maer-vom-edlen-wilden-1.3205238 (zuletzt abgerufen am 02.07.2022).

[2] Vgl. ebenda.

[3] Vgl. Meier, Philipp: „Rote Teufel“ und „edle Wilde“, 07/2012, veröffentlicht durch nzz.ch, URL online unter: https://www.nzz.ch/zuerich/zuercher_kultur/rote-teufel-und-edle-wilde-ld.665228 (zuletzt abgerufen am 02.07.2022)

[4] Vgl. ebenda.

[5] Vgl. Herrmann, Sebastian: Indianer und Naturschutz. Das Märchen vom edlen Wilden 04/2011, veröffentlicht durch sueddeutsche.de, URL online unter: https://www.sueddeutsche.de/wissen/umwelt-und-naturschutz-das-maerchen-vom-edlen-wilden-1.1087377 (zuletzt abgerufen am 02.07.2022).

[6] Vgl. Hill, Amelia: Racists created the Noble Savage 04/2001, veröffentlicht durch theguardian.com, URL online unter: https://www.theguardian.com/world/2001/apr/15/socialsciences.highereducation(zuletzt abgerufen am 02.07.2022).

[7] Vgl. Weber, Christian: Ethnologie – Die Mär vom edlen Wilden 10/2016, veröffentlicht durch sueddeutsche.de, URL online unter: https://www.sueddeutsche.de/wissen/ethnologie-die-maer-vom-edlen-wilden-1.3205238 (zuletzt abgerufen am 02.07.2022).

[8] Vgl. Besprochen von: Newmark, Catherine: „Edle Wilde“ und der ganze Schmarrn 02/2013, veröffentlicht durch deutschlandfunkkultur.de, URL online unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/edle-wilde-und-der-ganze-schmarrn-100.html (zuletzt abgerufen am 02.07.2022).

Weiterführende Literatur

Geulen, Christian: Kolonialer Rassismus. Edle und gefährliche Wilde 08/2019, veröffentlicht durch zeit.de, URL online unter: https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2019/04/kolonialer-rassismus-sklavenhaltung-rassentheorie-evolution (zuletzt abgerufen am 05.07.2022).

Koppenwallner, Katharina: Südsee-Souvenir. Hier lebt die Idee vom „edlen Wilden“ weiter 03/2020, veröffentlicht durch welt.de, URL online unter: https://www.welt.de/reise/Fern/article206638681/Suedsee-Souvenir-Hier-lebt-die-Idee-vom-edlen-Wilden-weiter.html (zuletzt abgerufen am 05.07.2022).

Zuletzt geändert am 24.07.2022 16:09 Uhr
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