Definition
Der Begriff „Critical Whiteness“ ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Theorien und Forschungsansätze, die die Machtstrukturen, die durch Rassismus geschaffen wurden, beschreiben und kritisch beleuchten. Weniger werden hier rassistisch diskriminierte Menschen untersucht, sondern die Konstrukte, die jenen Rassismus erhalten und Menschen diskriminieren. Hierbei zielen die Theorien darauf ab, weiße Menschen auf ihre gesellschaftlichen Privilegien aufmerksam zu machen.1
Einordnung in den wissenschaftlichen Kontext
Die Ursprünge der sogenannten Critical Whiteness Studies stammen aus den USA der 1990er Jahre. Trotz der Annahme, dass die USA einen anderen Sachverhalt darstellen, aufgrund von Sklaverei und des Kampfes afrikanischstämmiger Menschen gegen Rassismus und für den Erhalt von Freiheit und Gleichberechtigung, kann und muss auch Critical Whiteness in einen deutschen Kontext mit einbezogen werden. Die Negierung einer möglichen Anwendung an deutsche Verhältnisse würde die gegenwärtigen Realitäten Schwarzer Menschen oder anderer Minderheiten in Deutschland absprechen.2
Rassismus richtet sich nicht natürlich gegen eine spezifisch definierte Gruppe. So muss eine „White Supremacy“ einzelne Kollektive zu Gruppen definieren, um diese dann für den eigenen Profit zu marginalisieren und in häufigen Fällen auszubeuten. „Schwarzsein“ oder andere Identitätszuordnungen wären demnach Begriffe mit denen man das rassistische Hierarchieverhältnis legitim pointieren könne.3
Die Positionen des Weißseins oder Schwarzseins sind keine biologischen Begriffe, sondern sind diese gegenwärtige Realitäten, die über eine privilegierte und weniger privilegierte Position eines Individuums oder einer Gruppe von Menschen entscheiden können. Die Negation oder Relativierung des eigenen Weißseins führt zur Weiterführung einer gesellschaftlichen Hierarchieordnung, die sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt hat, dessen Probleme für Weiße meist unsichtbar erscheinen.4
Gewalt im Rahmen des Rassismus wäre der Höhepunkt vom systematischen Rassismus. Die Farbenblindheit und Ablehnung von rassistischen Aussagen und Taten würden sich dennoch auf den Weiß-Schwarz-Gegensatz stützen, welche den Sinn dieser Denkweisen erst erschaffen würde. Rassismus würde oberflächlich wahrgenommen werden, aber würde jene Haltung nicht die Realitäten des Rassismus wahrnehmen und beim Abbau des Rassismus(-Verständnisses) in der Gesellschaft beitragen.5
Dass Weißseinskritik im akademischen Feld noch nicht weit ausgebaut ist, liege an den bestehenden Strukturen des Weißseins, die nicht gestört werden sollen.6 Neben der kritischen Beschäftigung mit der eigenen Rolle im System Rassismus, ist nicht das einzelne Individuum oder einzelne Gruppen betroffen, sondern ganze Gesellschaften sowie Institutionen.7
Umso auch Debatten im deutschen Rahmen möglich zu machen, müsse vor allem auch die deutsche Kolonialzeit näher betrachtet und aufgearbeitet werden, um Rassismen der Gegenwart zu verstehen und sie in den Kontext der kritischen Weißseinsforschung einzuordnen.8
Verwendete Literatur
[1] Vgl. Hyatt, Millay: Critical Whiteness. Weißsein als Privileg 05/2015, veröffentlicht durch deutschlandfunk.de, URL online unter: https://www.deutschlandfunk.de/critical-whiteness-weisssein-als-privileg-100.html (letzter Zugriff 10.05.2022).
[2] Vgl. ebenda.
[3] Vgl. Tsianos, Vassilis S./ Karakayalı, Serhat/ Karakayalı, Jule: Blackbox Critical Whiteness. Zur Kritik neuer Fallstricke des Antirassismus: Eine Intervention 03/2013, veröffentlicht durch academia.edu, URL online unter: https://www.academia.edu/3374581/Blackbox_Critical_Whiteness._Zur_Kritik_neuer_Fallstricke_des_Antirassismus_Eine_Intervention._Vassilis_S._Tsianos_Serhat_Karakayali (letzter Zugriff 21.05.2022).
[4] Vgl. Högele, Tessa: Kritisches Weißsein: Was bedeutet es, weiß zu sein? 06/2020, veröffentlicht durch zeit.de, URL online unter: https://www.zeit.de/zett/politik/2020-06/kritisches-weisssein-wissenschaftlerin-stellt-rassismuskritische-fragen-an-weisse?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F (letzter Zugriff 14.05.2022).
[5] Vgl. Hyatt, Millay: Critical Whiteness. Weißsein als Privileg 05/2015, veröffentlicht durch deutschlandfunk.de, URL online unter: https://www.deutschlandfunk.de/critical-whiteness-weisssein-als-privileg-100.html (letzter Zugriff 10.05.2022).
[6] Vgl. Piesche, Peggy/ Arndt, Susan: „Weißsein. Die Notwendigkeit Kritischer Weißseinsforschung“. In: Arndt, Susan (Hg.); Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. 2. Aufl., Münster, 2019, S. 192- 193.
[7] Vgl. Tsianos, Vassilis S./ Karakayalı, Serhat/ Karakayalı, Jule: Blackbox Critical Whiteness. Zur Kritik neuer Fallstricke des Antirassismus: Eine Intervention 03/2013, veröffentlicht durch academia.edu, URL online unter: https://www.academia.edu/3374581/Blackbox_Critical_Whiteness._Zur_Kritik_neuer_Fallstricke_des_Antirassismus_Eine_Intervention._Vassilis_S._Tsianos_Serhat_Karakayali (letzter Zugriff 21.05.2022).
[8] Vgl. Aussage von Christian Geulen in: Garschagen, Teresa: Was ist „Critical Whiteness“? 08/2016, veröffentlicht durch mediendienst-integration.de, URL online unter: https://mediendienst-integration.de/artikel/was-ist-critical-whiteness.html (letzter Zugriff 21.05.2022).
Lektüreempfehlungen
Geulen, Christian: Warum ist es so schwer, von Rassismus zu sprechen? 12/2015, veröffentlicht durch die Bundeszentrale für politische Bildung, URL online unter: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/213691/warum-ist-es-so-schwer-von-rassismus-zu-sprechen.
Pross, Jennifer: "Zum Verständnis der Gegenwart gehört der Kolonialismus" 07/2015, veröffentlicht durch mediendienst-integration.de, URL online unter: https://mediendienst-integration.de/artikel/Interview-Geulen-deutsche-Kolonialgeschichte-Anerkennung-Voelkermord-in-Namibia.html.