Völkerschau

Definition

Der Begriff der Völkerschau beschreibt das Ausstellen von Menschen, ähnlich wie dem von Tieren im Zoo, in ihrem angeblichen Alltag. In einem durch den Staat organisierten Rahmen war dies ab Mitte des 19. Jahrhunderts besonders zur Werbung für die eigene Kolonialpolitik gedacht, während bei privaten Veranstaltungen der finanzielle Aspekt der Veranstalter und das Amüsement der Bevölkerung im Vordergrund standen. Die Veranstaltungen waren dabei zutiefst herabwürdigend und rassistisch geprägt.

Etymologie

Der Begriff Völkerschau stammt aus dem 19. Jahrhundert. Allerdings wurden derartige Veranstaltungen schon früher veranstaltet, erfuhren zunächst aber noch nicht so viel Zulauf. Den Höhepunkt erreichten die Völkerschauen dann von der Mitte des 19. Jahrhunderts an bis in die 1930er-Jahre.

Schon seit dem Beginn des Kolonialzeitalters im 15. Jhd. wurden außereuropäische Menschen gegen ihren Willen nach Europa verschleppt und dort zur Schau gestellt. Im 19. Jhd., in welchem immer mehr Länder sich an der Kolonialisierung beteiligten, steigerte sich auch die Anzahl der Völkerschauen. Im Deutschen Reich kamen der Großteil der dafür angeworbenen Gruppen aus Asien (Samoa, Ceylon und Indien), Afrika (Somalia, Nubien, Kamerun und Dahomey), aber auch aus nördlichen Gebieten in der Nähe des Polarkreises. Die Menschen wurden meistens durch finanzielle Anreize dazu gebracht teilzunehmen. Viele von ihnen kehrten aber aufgrund von Krankheiten und den Folgen dieser nicht mehr in ihre Heimat zurück. Völkerschauen waren in ihrer Hochzeit auch in anderen Staaten Westeuropas und in Nordamerika weit verbreitet, was unter anderem auch die Pariser Weltausstellung 1889 zeigt. Im Deutschen Reich sind die Völkerschauen untrennbar mit dem Namen Carl Hagenbeck verbunden. Sein Erfolg begründete sich besonders durch die vermeintliche Authentizität, die er bei seinen Ausstellungen schuf. Dazu verwendete er klischeehafte Utensilien und Tiere, welche mit den zur Schau gestellten Menschen im Volksglauben verbunden wurden. Dabei wurde für die Besucher*innen eine Vergleichbarkeit zu der eigenen Lebensrealität gegeben, was sich großer Beliebtheit erfreute. Das Ganze stellte aber letztendlich eine erniedrigende Darstellung des Klischees dar und war überhaupt nicht mit der Realität zu vergleichen. Die angeworbenen Menschen sollten dann, in einer Art Theatervorstellung, ihren vermeintlichen Lebensalltag vorspielen. Die erste dieser Ausstellungen, welche er nach diesem Konzept veranstaltete, war die Lappland-Ausstellung, in welcher er Menschen wie beschrieben zur Schau stellte.

1900 wurde schließlich ein Gesetz erlassen, welches die Ausfuhr von Menschen aus den Kolonien zur Zurschaustellung untersagte. In der Realität wurde dieses aber nicht zwingend umgesetzt und Völkerschauen blieben weiterhin ein Massenphänomen. Dabei konnten diese Veranstaltungen unterschiedliche Hintergründe haben. Neben den schon beschriebenen Ausstellungen, wie der Lappland-Ausstellung, wurden Menschen auch auf Volksfesten, Gasthöfen, Jahrmärkten, aber auch in zoologischen Gärten zur Schau gestellt. Völkerschauen fanden in Deutschland bis in die 1950er Jahre statt, aber dann eher in einem kleineren Rahmen. Aus der breiten Öffentlichkeit verschwanden Völkerschauen schon in den 1930er Jahren durch den Beginn des Filmzeitalters.

Empfehlungen für den aktuellen Sprachgebrauch

Sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch in Schulbüchern wird sehr häufig der zeitgenössische Begriff Völkerschau als Bezeichnung verwendet. Wenn der Zurschaustellung ein wissenschaftlicher Hintergrund gegeben werden sollte, dann wurde zur damaligen Zeit auch von einer anthropologischen Ausstellung gesprochen. Mit einer vernünftigen und fundierten Wissenschaft hatten diese Ausstellungen aber nichts zu tun. Andere Begriffe, welche verwendet wurden, waren z.B. Kolonialschau und Kolonialausstellung. Mit diesen zeitgenössischen Begriffen ist aber eine rassistische Veranstaltung verbunden. In der heutigen Zeit wird der Begriff der Völkerschau in der Alltagssprache für aktuelle Themen nicht mehr verwendet und ist nur vorhanden, wenn man über die früheren Völkerschauen sprechen möchte. Dies ist natürlich auch darin begründet, dass diese Art von Veranstaltungen nicht mehr stattfinden. Wenn jedoch über Völkerschauen gesprochen wird, dann ist dieser Begriff noch der deutlich dominierende und wird in den meisten Fällen verwendet. Bei einer Verwendung dieser Begrifflichkeiten muss aufgrund der kolonialen Vergangenheit immer abgewogen werden, ob ausreichend differenziert und der rassistisch geprägte Hintergrund beachtet wird. Eine direkte Beleidigung oder Diskriminierung von Menschengruppen ist mit diesem Begriff aber nicht verbunden, weshalb im Sprachgebrauch nicht grundlegend dazu geraten werden muss, darauf zu verzichten.

In einem alltagssprachlichen Kontext wird in der jüngeren Vergangenheit im Zusammenhang mit Völkerschauen auch immer wieder von „Menschenzoos“ gesprochen. Dieser Begriff könnte jedoch in der Wahrnehmung nicht das gesamte Gebiet der Zurschaustellungen umfassen, da bei weitem nicht alle mit einem zooähnlichen Charakter stattfanden. Die Historikerin Anne Dreesbach, welche unter anderem ihre Dissertation zum Thema Völkerschauen schrieb, würde als Alternativbegriff dazu „Zurschaustellung außereuropäischer Menschen“ (Dreesbach 2005, S. 320) vorschlagen. Auch in einigen neueren Veröffentlichungen in der Geschichtswissenschaft wird dieser Begriff bereits verwendet. Dem Begriff ist insofern zuzustimmen, dass er sich von dem rassistisch geprägten Begriff der Völkerschau löst und trotzdem im Gegensatz zu „Menschenzoo“ alle Veranstaltungen zu diesem Thema im Blick behält. Damit stellt er eine gut nutzbare Alternative zum kolonial geprägten Begriff der Völkerschau dar.


Weiterführende Literatur

Dreesbach, Anne: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung 'exotischer' Menschen in Deutschland 1870-1940, Frankfurt 2005.

Zuletzt geändert am 12.07.2021 15:50 Uhr
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