Weitere Quellen zur Entfaltung des Hilfsschulwesens
zusammengetragen von Annette Winters im Jahr 1979
Zitiert nach Gläsche, Erster öffentlicher Bericht über
die Erziehungsanstahlt für blödsinnige Kinder zu
Hubertusburg Leipzig 1854, in Frenzel ‚ Geschichte des
Hilfschulwesens, Halle 1921, S. 27
Von der Zeit an, da ein solches Kind einigermaßen aus dem Staube gezogen undzuin Bewußtsein erweckt worden ist, wird nun nach Kräften dahin gewirkt, daß es sein Gemüt nach Gott erhebt, ihn finden und lieben lernt. Hat das Kind diese zuletzt gezeigte Stufe erreicht, so ist die Aufgabe der Anstahlt erfüllt, es ist nun sicher befähigt, an dem dem Unterricht der Elementarschule mit Nutzen teilnehmen zu können. Da es aber im Alter und in seiner körperlichen Ent wicklung so weit vorgerückt ist, daß es bedenklich erscheinen muß, es in die Volksschule zu schicken, so besteht die Einrichtung, daß auch solche fortgeschritten Zöglinge in der Anstahlt verbleiben, bis sie konfermiert und als erwerbsfähig entlassen werden können. Sie bilden eine eigene Abteilung und werden natürlich in allen Disziplinen soweit als möglich geführt. Namentlich tritt für sie ein besonderer Unterricht in der deutschen Sprache, Naturgeschichte Geographie und in Religion hinzu.
Traugott Weise: Betrachtungen über geistesschwache Kinder in Hinsicht der Verschiedenheit, Grundursachen, Kennzeichen und der Mittel, ihnen auf leichte Art durch Unterricht beizukommen. Mit besonderer Rücksicht auf Pestalozzische Rechenmethode, Zeitz 1820. 1911 besorgte Max Kirmsse eine Ausgabe dieses Werkes in: Beiträge zur Kinderforschung und Heilerziehung Langensalza 1911, Heft 79, zit. nach: Klink, Job-Günter (Hrsg.): Zur Geschichte der Sonderschule, Bad Heilbronn/ OBB 1966, S. 46 ff.
Einleitung
§1 "Auch der gemeinste Beobachter bemerkt den unverkennbaren Unterschied der Kinder in Hinsicht ihrer Erkenntniskräfte und des verschiedenen Verhältnisses derselben, denn nichts ist gewöhnlicher als die Klage über Schwäche, Stumpfheit und Unfähigkeit der Köpfe. Ob nun schon zuweilen der Grund der geringen Wirksamkeit des Unterrichtes in der fehlerhaften Methode des Lehrers oder in der Trägheit des Kindes zu suchen ist, so lehrt doch die Erfahrung unwidersprechlich, daß es wirklich geistigarme oder schwache Kinder gibt. ...
§3 Natürlich kann das nicht so verstanden werden, daß durch Unterricht in die Seelen solcher Kinder etwas hineingetragen werden sollte, dessen sie gar nicht fähig wäre. Weg mit Unmöglichkeiten! Auch ist zu offenbar in der großen Verschiedenheit der natürlichen Anlagen ein weiser Zweck der Vorsehung nicht zu verkennen; aber dieser Zweck kann doch, äußerst seltene und vielleicht immer nur scheinbare Fälle ausgenommen, nicht dahingehend, daß auch einige Menschen in intellektueller Hinsicht dem Tiere gleich sein sollen. Wir müssen vielmehr annehmen, daß ein Kind, durch die Geburt in die menschliche Gesellschaft gewiesen, durch Unterricht so viel von den höheren Geisteskräften erhalten kann und muß, als unumgänglich nötig ist zu seiner zeitlichen und ewigen Bestimmung, das heißt es muß das moralisch Gute und Böse mit Gewißheit unterscheiden lernen und geschickt zur sicheren Erhaltung des gegenwärtigen Lebens werden. - Zu einem Menschen, der keine Anlage zu einem bestimmten Fache hat, sagt sein guter Meister: Du kannst Dir diesen Beruf nicht wählen; aber kann man auch von einem Kinde sagen: es kann seine Bestimmung als Mensch nicht erreichen, da es doch schon ein Mensch ist?
§4 Auch lehrte die Erfahrung, daß oft Menschen in ihrer Jugend für geistesarm angesehen wurden, an denen sich später, durch Vereinigung günstiger Umstände, manche Geistesblüte entfaltete; aber was noch mehr sagen will! sie hat auch gelehrt, daß die moralischen Kräfte solcher Menschen nicht selten gut beschaffen sind. Wie brauchbar könnten also die meisten werden, wenn sie zweckmäßig unterrichtet würden! - Menschenliebe, Du hast es nötig gefunden, Taubstummen Lehranstalten zu errichten, nimm Dich auch der Geistesschwachen an, deren Menschheit oft mit Füßen getreten wird. Abgeschafft hast du die Folter im bürgerlichen Leben und siehe, jene unschuldigen Seelen leiden noch in vielen Schulen, wie in einer Folterkammer. Dem Gang der Natur zuwider, sollen sie doch Worte lernen, die sie nicht verstehen, das können sie nicht,
D. Behandlung geistesschwacher Kinder
§12 ... Hier ist also nur von der geistigen Erziehung und Ausbildung der Erkenntniskräfte die Rede; es umfaßt aber der Zweck dieser Schrift nicht die ganze Geistesbildung solcher Kinder, er beschränkt sich bloß auf das wichtigste, nämlich auf die zwei Hauptmomente der Entwicklung der Erkenntniskräfte, als: 1. die sinnliche anschauende Erkenntnis und 2. das Erwachen der Vernunft im weiteren Sinne.
§13 Der Deutlichkeit wegen mag eine Vergleichung den Weg bahnen. Ein Mensch, der ohne Traum im tiefen Schlafe liegt, ist sich seiner nicht bewußt, denn er weiß weder von dem Dasein seines Körpers, noch von seiner Seele, noch von den Gegenständen außer ihm etwas. Wir wecken ihn auf und nun entsteht die erste Vorstellung in seiner Seele wieder. Aber wie? Entweder tritt eine alte Vorstellung wieder hervor, oder der nächste Gegenstand erweckt eine, oder die Seele bringt eine Vorstellung aus sich selbst heraus vermöge eines feinen oft unbemerkbaren Zusammenhanges der Idee. Dies auf die geistesschwachen Kinder angewandt, sind sie wachend in demselben Zustande der Ideenleerheit als ein im tiefen Schlaf Versunkener. Die Körperwelt wirkt zu schwach auf den Geist und darum der Geist zu schwach auf die Körperwelt. Beide müssen in eine nähere Berührung gebracht werden durch die sinnliche Anschauung ‚ so daß die Augen sehen, und die Seele auch weiß, was sie gesehen hat, daß die Ohren hören, und die Seele sich auch dessen bewußt ist.
§14 Suche also zuerst die Aufmerksamkeit der äußeren Sinne zu erregen und dadurch die Sprache zu bilden, und Begriffe in die Seele zu bringen. Die beste Zeit hierzu ist etwa von 3. bis zum 5. Jahre, wo das Kind durch das Ausfallen der Milchzähne noch keine Zahnlücken hat und einer guten Aussprache fähig ist. Hierzu einige Winke. Die Mutter nenne Gegenstände, die unmittelbar auf die Sinne des Kindes wirken, zeige aber mit dem Finger darauf, und lasse sie dem Kinde, das auch mit dem Finger darauf zeigen muß, so lange nachsprechen bis es die Gegenstände richtig und deutlich benennen kann.
§15 Auf diese Weise lehre das Kind die äußerlichen Teile seines Körpers kennen, ... Die Mutter greift den Fuß des Kindes an und spricht: Das ist der Fuß. Das Kind zeigt darauf und spricht: Fuß.
§17 Ebenso sinnlich bringe ihm die Begriffe: Teil und Ganzes bei. Führe es zum Holzspalter und sage: Das ist eine Stange. Wenn sie zerhackt ist, so zeige ihm die Teile, und hernach fordere das Kind auf, die Stange wieder zusammenzulegen.
§19 So lernen auch diese Kinder spielend Formen und Namen der Buchstaben. Schreibe also die 10 Ziffern mehreremale auf kleine Blättchen und leite das Kind an, aus den vermischten Ziffern alle Zweien, Dreien usw. aufzusuchen. Kann das Auge die Ziffern an der Form unterscheiden, so nenne hernach die Namen, aber gehe sie langsam.
§20 ... Von überaus großem Nutzen ist es auch, wenn solche Kinder sobald es nur möglich ist, zu kleinen häuslichen Beschäftigungen und Arbeiten, die aber nie schwache Kräfte übersteigen dürfen, angehalten werden; es muß aber freilich mit viel Geduld und Nachsicht geschehen.
§21 Nach solchen Vorübungen, die mehr Spiel als Unterricht sind, wagt das Kind dem öffentlichen Unterrichte, aber ja nicht zu zeitig, übergeben werden, denn dasselbe von dem großen Haufen abzusondern, ist aus Gründen, die leicht einzusehen sind, nicht anzuraten. Von jetzt an spreche ich also mit Dir, lieber Lehrer, erst ein Wort im allgemeinen und dann in der Hauptsache. Du wirst so gut als ich wissen, daß solche Kinder nicht selten die Lastenträger zu Hause sind, schütze sie wenigstens in der Schule vor übler Behandlung der übrigen, und Deinerseits übe die göttliche Tugend der Geduld und Nachsicht an ihnen, sie ist hier am Orte. Der Gerechte erbarmt sich schon seines Viehes, aber das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig. Quäle sie nicht mit Auswendiglernen von Worten, die sie nicht verstehen, es hilft ihnen ja nichts. Laß Dir's vielmehr angelegen sein, ihnen Begriffe beizubringen und ihrer Urteilskraft zu üben, wozu kein besonderes Buch nötig ist, ... Such durch kleine Geschichten Deinem Vortrage Interesse zu beben; zeige an einem wohltätigen Manne, was Wohltätigkeit, an einem gehorsamen Kinde, was Gehorsamkeit usw.; gehe also bei übersinnlichen Begriffen jederzeit vom sinnlichen aus.
§22 Frage sie fleißig: woher? wozu? weswegen? usw. und richte die leichtesten Fragen an die Schwachen. ... Bemerkst Du, daß es still vor sich hin starrt, so frage: Wo bist Du jetzt? Wie bist Du hierher gekommen? Hat man Dich hereingetragen? Wo warst Du vor der Schule? ... Durch ähnliche Fragen suche das Kind an das, was es getan, gedacht, geredet, empfunden hat, wie es ihm da und da zumute gewesen, fast beständig zu erinnern und so zum Bewußtsein zu bringen, denn daran fehlt es am meisten. Gehe aber ja überall langsam zu Werke, denn anerkannte Pädagogen sagen einstimmig: Langsames Fortschreiten ist die Seele des Elementarunterrichtes. Wie vielmehr muß Übereilung dem schwachen Kinde schaden, da es dem fähigeren nicht nützlich ist. ...
Quelle zur "Entwicklung einer Hilfsschuleinrichtung" in
Chemnitz. Aus Frenzel: Geschichte des Hilfsschulwesens.
Halle 1921, S. 34-35
Die Anfänge der dortigen Hilfsschulbestrebungen sollen nach Angaben des Schuldirktors Gehl bis zum Jahre 1835 zurück gehen. Infolge zuweit gehender Rücksichtnahme auf die Armut der Eltern und auf die Wünsche der Fabrikanten, welche sehr häufi1g die Kinderarbeit in Anspruch nahmen, wurde das gesamte Chemnitzer Volksschulwesen im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts in seiner Entwicklung unliebsam gehemmt. So gab es im Jahre 1826 eine ganze Anzahl Kinder, die ohne jeden Unterricht aufwuchsen. Obgleich diese ihrem Alter nach nicht mehr schulpflichtig waren, so konnten sie doch nicht nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen konfermiert und aus Schule entlassen werden. Um nun diesen "veralteten" Schülern die notwendige Vorbereitung zur Konfirmation zu geben und ihre Schulentlassung zu ermöglichen, wurde für sie eine besondere, ihren Bedürfnissen und ihrer geistigen Verfassung entsprechenden Schuleinrichtung vorgesehen ‚ die im Hinblick auf ihren Zweck die eigen artige Bezeichnung "Notschule" erhielt. Ihre Eröffnung erfolgte im Jahre 1835 mit 27 Personen im Alter von 1k bis 20 Jahren. Den Unterricht in der Notschule erteilten 3 Lehrer. Als später die älteren Schüler entlassen worden waren ‚ löste man die Schule nicht auf ‚ sondern führte sie weiter; -es sollten nun alle diejenigen Kinder Aufnahme finden, die bei Beginn des 14 Lebensjahres noch in den unteren Klassen der niederen Bürgerschule saßen, wo sie durch natürliches Unvermögen oder äußere nachteilige Umstände in den ersten Schulkenntnissen zurückgehalten waren.
Diese Notschulklasse unterschied sich von den jetzigen Hilfsklassen besonders dadurch‚ daß ihre Schüler auch am Unterricht einer Normal= klasse teilnehmen mussten. Allmählich wurden auch jüngere Kinder aufgenommen ‚ und es stellte sich das die Notwendigkeit einer Vergrößerung der Schule heraus ‚ so das man im Jahre 1856 zur Einrichtung einer zweiten Klasse schreiten musste.
Mit den Jahren 186o wurde eine Änderung in der Notschule vorgenommen; man vereinigte alle Schüler derselben zu einer Klasse ‚ in der Weise das sie nun getrennt Unterricht erhielten und nicht mehr eine normal Schule besuchen durften,. Diese Klasse erhielt den Namen Nachhilfe Klasse ‚ woraus sich dann nach und nach Hilfsklassen bzw. Hilfsschulsysteme entwickelten. Der Unterricht in den Nachhilfeklassen umfaßt wöchentlich 13 Stunden für Religion 5, Sprache 1 ‚ Lesen 3, Rechnen 2, Schreiben 2. Bei einer Teilung der Nachhilfeklassen nahm man auch eine Trennung der Geschlechter vor, die heute noch in den Chemnitzer Hilfsschuleinrichtungen besteht.
Quellen zur Entwicklung des Leipziger Hilfsschulwesens. Aus Frenzel: Geschichte des Hilfsschulwesens. Halle 1921 S. 39-42
Maßgeblich beteiligt an einer Einrichtung der ersten Hilfsschulklassen in Leipzig war der Taubstummenlehrer Heinrich Ernst Stötzner.
"Wie bereits erwähnt ‚ hatte die Gesellschaft zur Förderung der Schwach- und Blödsinngenbildung auf ihrer Tagung in Hannover im Jahre 1865 die Forderung Stötzners zur Einrichtung von Schulen Für schwachbefähigte angenommen. Daraufhin wurde Stötzner vom Rat der Stadt Leipzig aufgefordert, ein Gutachten und einen Kostenanschlag für eine in Leipzig zu errichtende Schule abzugeben. Stötzner tat dies in einem Gutachten vom 3 November 1865, und da ihm die Idee der Taubstummenanstalt vorschwebte, schilderte er die Schule als eine Bewahranstalt für den Tag‚ worin die Kinder nicht nur Belehrung und Erziehung, sondern auch Beköstigung und Beaufsichtigung während der Unterrichtsfreien Zeit erhalten sollten. Diesen Vorschlag unterbreitete der Rat der Stadt Leipzig den Stadtverordneten im März des Jahres 1866. Die Stadtverordneten stimmten im folgenden Jahre 1867 dem Antrage wohl grundsätzlich zu, lehnten aber die vorgeschlagene Durchführung des Planes ab, indem sie unter anderem besonders auf die großen Schwierigkeiten einer richtigen Auslese des Schülermaterials hinwiesen. Als zur Ausführung geeignet empfahlen sie, den wirklich schwachsinnigen Kindern einen von dem übrigen Klassenunterrichte gesonderten Unterricht durch einen besonderen Lehrer, jedoch in der Schule selbst ‚ erteilen und die Auswahl der Kinder unter Mitwirkung eines Arztes vornehmen zu lassen. Der Rat der Stadt ging jedoch seinerseits nun nicht auf die Vorschläge der Stadtverordneten ein, sondern hielt an' seinem ursprünglichen Plane fest, so das vorläufig alle weiteren Verhandlungen in dieser Angelegenheit sich zerschlugen... Der Rat legte daher zum zweiten Male im Jahre 1868 seinen unveränderten Plan den Stadtverordneten vor ; diese lehnten jedoch abermals ab...Eine dritte Ablehnung erlebte die Ratsvorlage im Jahre 1870;... Nach der Neugestaltung des Leipziger Volksschulwesens 1873-74 kam die Sache wieder in Fluß. Die Schuldirektoren beantragten im Jahre 1881 die recht baldige Einrichtung von ein oder zwei Klassen für schwachsinnige Kinder.
Die Schwachsinnigenklasse wurde am 19 November 1881, zunächst mit 13 Kindern ( 8 Knaben und 5 Mädchen) eröffnet, zu denen in den nächste Wochen noch 4 Knaben traten, so daß der Bestand am 2 Januar 1882 17 Kinder betrug, die im Alter von 7,5 - 11 standen. 8 von ihnen kamen aus Bürgerschulen, 6 aus Bezirksschulen,2 aus Ratsfreischulen, eins aus einer Privatanstahlt für schwachsinnige Kinder. Nach einer alsbald mit ihnen veranstalteten Prüfung wurden sie, den ermittelten Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechend in 2 Abteilungen geteilt...deren jede 18 Stunden wöchentlich Unterricht erhielt, die eine vormittags täglich von 8-11 Uhr, die andere nachmittags von 1-4 Uhr... Es ergab sich, daß sechs andere Kinder, fünf Knaben und ein Mädchen ‚ gar nicht als schwachsinng, sondern nur als schwachbefähigt bezeichnet werden konnten, da sie hauptsächlich wegen ihrer geringen Fortschritte im Rechnen mit ihren Altersgenossen in der Volksschule nicht gleichen Schritt zu halten vermocht hatten und, meist im zweiten bis vierten Schuljahr stehend, in den achten und siebenten Klassen ihrer bisherigen Schulen sitzengeblieben waren. So konnte also nur etwa die knappe Hälfte der Schwachsinnigenklasse überwiesenen Kinder als wirklich schwachsinnig gelten, und demgemäß bildeten auch wenigstens die erste Abteilung derselben eigentlich nur eine Nachhilfeklasse, welche die Schüler bei gewissenhafter Unterstützung ihrer Schwächen zum Wiedereintritte in die Volksschule zu befähigen hatte, in der tat konnten denn auch mit den oben erwähnten sechs Kindern nach Ablauf eines Jahres ‚ also zu Michael 1882 der Versuch gemacht werden ‚ sie in die siebente Klasse einer Volksschule zurückzuversetzen,... Im zweiten Jahre ihre8 Bestehens gewann die Schwachsinnigenklasse infolge der Rückversetzung der nur nachhilfebedürftigen Schüler in die Volksschule und der Aufnahme neuer Kinder ‚ durch die sich die Gesamtzahl bis Ostern 1885 auf 23 erhöhte, namentlich in ihrer ersten Abteilung ein ganz anderes Gesicht - sie wurde zur reinen Schwachsinnigenschule... Trotzdem wollte mir der rein schulmäßige Unterricht als zu einseitig je länger um desto weniger gefallen ‚ da bei geistig schwachen Kindern der Hebel möglichst viele angesetzt werden müssen ‚ um das durch physiologische Hindernisse niedergehaltene Fünklein geistiger Anlagen anzufachen, und wegen der späteren Lebensverhältnisse dieser Kinder auch den praktischen Verrichtungen mittelst der leiblichen Kräfte ein Augenmerk zu zuwenden ist. Dafür war noch bisher gar nichts geschehen; wenn auch die Mädchen seit Ostern 1885 an zwei Nachmittagen je 2 Stunden Unterricht in weiblicher Handarbeit erhielten... von Michael 1885 an erhielten auch die Knaben in jeder der beiden Abteilungen an je einem Nachmittag 2 Stunden Arbeitsunterricht...Als Höchstzahl. einer Klasse waren von vornherein 15 Kinder angenommen worden, und da die Gesamtzahl der Kinder Ostern 1889 auf 43 anwuchs ‚ so machte sich die Bildung einer dritten Klasse und die Anstellung eines dritten Lehrers nötig. Damit trat für jede Klasse eine Verzehrung der Stundenzahl auf 26 Stunden ein, ...und der Unterricht der Kinder fiel vormittags von 8-12 und an einem Nachmittag von 2-4... 1889-91 wurden alle Vororte von Leipzig in einem Umkreis von 5 km einverleibt... Das rasche Wachstum der Schwachsinnigenschule hatte derselben unter den erwähnten Umständen namentlich solche Kinder zu geführt, die aus untersten und ärmsten Gesellschaftskreisen stammten und infolge der mißlichen häuslichen Verhältnisse einer geordneten Aufsicht und Erziehung zum Teil recht sehr entbehrten...in allen solchen Fällen aber waren die Kinder in der schulfreien Zeit auf sich selber angewiesen, den 3efahren eines zügellosen Bummel- und Straßenlebens preisgegeben und dadurch äußerer und innerer Verlottung beständig ausgesetzt... Der nächste Schritt konnte selbstverständlich nur sein, daß die Schule an mehreren Nachmittagen, statt wie ‚bisher nur an einem, die Kinder unter ihrer Aufsicht hatte... Nunmehr zauderte ich nicht‚ in einer umfänglichen Eingabe an den Schulausschuß vom 28 April 1891 meine Pläne betreff eines weiteren Ausbaues der Schwachsinnigenschule durch Verstärkung des erzielichen Momentes mittels ausgedehnter Beschäftigung und Beaufsichtigung der Kinder darzulegen...
Quelle: Aufnahmeverfahrens der Hilfsschüler. Aus, B.
Mannel: Vom Hilfsschulwesen, Leipzig 1905, S. 26-32
Von den Stimmungen oder Vorurteilen des Klassenlehrers ein Antrag zur Aufnahme in die Hilfsschule nicht abhängig sein !L Da ist zunächst seitens des Schuleiters jedem antragstellenden Klassenlehrer anzuraten ‚ längere Zeit weitere Beobachtungen zu sammeln. Zuweilen ‚ insbesondere bei Kindern mittlerer Jahrgänge hilft deren Übergabe an einen anderen Lehrer... Es muß versucht werden um zu verbinden daß ein Kind aus der Volksschule als unbildsam entlasren wird, welches in der selben noch einigermaßen genügend gefördert werden kann. Ur dies zu können‚ muß der Lehrer der Normalschule mehr als bis her psychologisch gebildet werden... Erhat auch im eine Vertrautheit zu bekunden mit dem leicht abnorme Wege gehenden Entwicklungsgang Einwicklungsgang der kindlichen Seele...daß er sich Aufschlüsse über den Werdegang des problematischen Schülers vor seiner Schulzeit verschafft Vielleicht kann das Elternhaus ihm eine Erklärung über das auffallende Benehmen seines Schülers geben. Zu diesem Zwecke sind zwei Wege einzuschlagen Entweder wird die Mutter im Schulhause um Aufklärung ersucht, oder der Lehrer sucht den Schüler im Elternhause auf. Der erstere ist zwar der leichtere ‚ aber der unvollkommenere Weg. Denn es ist nicht jedermanns Sache das Haus unter den Ärmsten der Armen zu betreten. Wenn der Besucher auch nicht gerade zum Märtyrer einer guten Sache werden wird, so gehört doch anerkanntermaßen Überwindung dazu, möglicher Weise in übelbeleumdeten Häusern vorzusprechen und mit oft rohen Menschen Zwiesprache zu halten... Und doch muß sich die Lehrperson Klarheit verschaffen über das Wesen ihres Schülers, wenn sie sichere Belege für ihren Antrag auf seine Unterbringung in die Hilfsschule haben will... Dann werden die Gemeindeschwestern die Armenpfleger und die Auskunftsstellen der städtischen Armen- und Polizeiverwaltungen um Aushilfe anzugehen sein... Aber immerhin muß die Forderung aufrecht erhalten werden, durch eigens Urteil‚ durch Hausbesuche festzustellen‚ in welcher Lebenslage sich der zur Aufnahme in die Hilfsschule vorzuschlagende Volksschüler befindet, welche Krankheiten er bisher zu überwinden hatte und welche körperlichen Unfälle seine abnormen Entwicklungen beeinflußt haben.