Bundesrepublik Deutschland bis 1990
Inhaltsverzeichnis
Überblick: Relevante Prozesse, Strukturen, Daten
"Behinderung" in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit
- Nach 1945 sind in allen Bundesländern Gesetze verabschiedet worden, die die Schulpflicht behinderter Kinder festlegen (mit Ausnahme von geistig und einigen körperlich behinderten Kindern, die teilweise bis in die 1970er Jahre von der Schulpflicht "befreit" waren). Der Sonderschulbereich orientierte sich grundlegend an den Strukturen und Fachrichtungen vor dem 2. Weltkrieg.
- Am 9. April 1948 wurde in Frankfurt/ M. der "Verband deutscher Hilfsschulen" (VDH) gegründet.
- Seit Ende der 1950er/ Anfang der 1960er
Jahre gründeten Eltern behinderter Kinder Elternvereine,
so z.B. der "Verein zur Förderung spastisch gelähmter
Kinder" oder die "Lebenshilfe für das geistig behinderte
Kind" (1958 in Marburg gegründet).
In den 1950er und beginnenden 1960er Jahren fand allmählich ein Gesinnungswechsel statt. Gab es zuvor z.B. für geistig behinderte Menschen kaum Angebote, fand diese Personengruppe, auch und besonders auf Grund der Arbeit der Lebenshilfe, stetig mehr Beachtung. - 1960 bildet das "Gutachten zur Ordnung des Sonderschulwesens" der Kultusministerkonferenz die erste länderübergreifende Äußerung zum Sonderschulwesen. Darin werden grundlegende Fragen wie die Sonderschullehrerausbildung und Sonderschulstrukturen angesprochen.
- In Hessen entstanden 1961 Sonderklassen für praktisch Bildbare (dort genutzter Begriff für "geistig behinderte Menschen"). 1962 folgte die erste Sonderschule für Geistigbehinderte in Frankfurt.
- Das Bundessozialhilfegesetz des Jahres 1962 betont den Anspruch auf Hilfe der Menschen in besonderen Lebenslagen (§4)
- 1964 gründete sich die "Aktion Sorgenkind" (Heute: Aktion Mensch), durch deren Gelder verschiedene Einrichtungen finanziert wurden und die grundsätzlich wichtige lnvestitionshilfen leistete.
- In den 1960er Jahren wurde in fast allen Bundesländern die Schulpflicht für alle Kinder, unabhängig von einer Behinderung, verankert.
- Anfang der 1970er Jahre formierte sich die Krüppelbewegung
- 1973 veröffentlichte die Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates die Empfehlung "Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher". Das Ideal ist nun die Einrichtung eines kooperativen Schulzentrums, das auf der Basis einer Gesamtschule die schulische Integration behinderter Schüler zum Ziel erhebt. Das vorgeschlagene Konzept berücksichtigt aber auch die praktische Notwendigkeit separierender Fördersysteme.
- 1974 wurde die 3. Novelle des
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) verabschiedet.
Das Schwerbeschädigtengesetz (ebenfalls 1974) wurde ersetzt durch das Schwerbehindertengesetz und war damit anwendbar auf alle Menschen mit Behinderung. Der Arbeitsmarkt öffnete sich damit auch behinderten Menschen. - Einige Autoren sehen die 1970er Jahre als
"Dekade der Rehabitilation" (so z.B. Hähner). Auf einer
Tagung der Lebenshilfe 1976 hieß es: "In jedem Falle ist
von einer Bildungsfähigkeit [der geistig behinderten
Menschen] auszugehen. Sie sind in der Regel im Rahmen
bestehender Einrichtungen für geistig Behinderte zu
fördern, wobei ihr besonderer Erziehungsbedarf zu
berücksichtigen ist".
An einigen Universitäten entstanden neue Lehrstühle, wie z.B. die Geistigbehindertenpädagogik. - In den 1980er Jahren begannen die Forderungen, behinderte Menschen nicht zu isolieren (in Schulen, Wohn- und Freizeiteinrichtungen), sondern sie in die Regeleinrichtungen zu integrieren.
- 1987 erfolgten zwei unterschiedliche Schulversuche zur Integration: der Hamburger Schulversuch, bei dem bestimmte ausgewählte geistig behinderte Schüler integrativ beschult wurden und der Bremer Schulversuch, bei dem eine schulische Eingliederung aller geistig behinderter Schüler erfolgte, auch die Schwerstbehinderter.
Medien und Texte
- PowerPoint-Präsentation "Werkstatt
für Menschen mit Behinderungen"
Autorinnen: Julia Havenith, Isabelle Nabielek - Krüppelbewegung
Autor: Markus Brück
Literatur
- Ellger-Rüttgardt, Sieglind: Geschichte der Sonderpädagogik. München 2008. (18. Jh. bis Gegenwart)
- Fornefeld, Barbara: Einführung in die Geistigbehindertenpädagogik. München 2000. Darin: Kapitel 2.4, S. 40-42
- Hähner, U.: Von der Verwahrung über die Förderung zur Selbstbestimmung. Fragmente zur geschichtlichen Entwicklung der Arbeit mit "geistig behinderten Menschen" seit 1945. In: Vom Betreuer zum Begleiter. Hrsg. Bundesvereinigung Lebenhilfe für Menschen mit geistiger Behinderung. Marburg 1997, S. 25-51
- Möckel, Andreas: Geschichte der Heilpädagogik. Stuttgart 1988
- Möckel, Andreas (Hrsg.): Erfolg, Niedergang, Neuanfang. 100 Jahre Verband deutscher Sonderschulen. München 1998. Darin: Bleidick, Ulrich: Der Verband und die Bildungspolitik 1948 bis 1998. S. 96-165
- Speck, Otto: Geschichte. In: Handbuch der Sonderpädagogik. Bd. 5, Pädagogik der Geistigbehinderten. Berlin 1979 (S. 57-72)
- Speck, Otto: System Heilpädagogik. 4. Aufl., München 1998. S. 73-79