Albert Gutzmann

Aus Geschichte der Behinderung
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Albert Gutzmann (1837-1910) war Taubstummen- und Sportlehrer an der städtischen Taubstummenanstalt in Berlin. Seine Erfahrung der körperlichen und seelischen Verwahrlosung der Kinder seiner Schule und seine Erkenntnis der Untererwicklung und Funktionsstörung der Lunge bei Taubstummen durch das fehlende Sprechen legte er seinem Buch "Das Stottern und seine gründliche Beseitigung" 1879 zu Grunde.

Gutzmann behauptete, auch körperliche Vernachlässigungen könnten als Ursache für krankhafte, reizbare Stimmungen das Entstehen von Stottern begünstigen. Er sah einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch des Stotterns und der seelischen Verfassung des Kindes. Gutzmann baute seine Methode auf den wissenschaftlichen Theorien von Kussmaul auf, welche dieser 1877 in "Die Störungen der Sprache" veröffentlichte.

Nach Meinung Gutzmanns ist "das Übel meist das Resultat von Gewohnheits- und Erziehungsfehlern .... In der That ist das Stottern in den allermeisten Fällen auf eine in der ersten Sprachentwicklung begründete ... Vernachlässigung im Sprechen, sowohl nach seiner rein technischen, als denkthätigen Seite zurückzuführen, die durch eine sorgfältige Überwachung und spracherziehliche Behandlung im ersten Stadium hätte verhütet werden können". (Gutzmann 1888, 26)

Stottern tritt im ersten Stadium auf infolge eines Missverhältnisses von Denktätigkeit und Sprechtätigkeit. Die Entwicklung des Denkvermögens ist beim Kind schneller als die Entwicklung der Sprechfähigkeit, so Gutzmann. Es kommt also ganz natürlich zu Unflüssigkeiten in der Rede. Die Eltern müssen während dieser Zeit streng darauf achten, dass das Kind richtig und langsam spricht und sich kein falsches Sprechen angewöhnt. (Gutzmann 1888, 59) Der Stotterer soll durch die Übungen psychisch beeinflusst werden. Wenn er erkennt, dass das Sprechen ihm keine Schwierigkeiten mehr bereitet, so braucht er keine Angst mehr zu haben und stottert nicht mehr.

Die Übungsbehandlung hat zum Ziel, das Missverhältnis von Respiration und Sprechtätigkeit abzustellen. Zunächst werden Atemübungen durchgeführt, die die Atemkapazität erweitern und die Atmungsmuskulatur trainieren sollen. Teilweise werden sie mit gymnastischen Übungen verbunden. Wenn der Stotterer hier seinen Willen beherrschen kann, so sollen Atemübungen mit Stimm- und Sprechübungen kombiniert werden. Bei den Stimmübungen, Hauchen, Flüstern und Stimmgebung, sollen die Muskeln des Kehlkopfes gestärkt werden. Dann folgen Sprechübungen, in denen Konsonanten und Vokale zu Silben verbunden werden sollen. Wenn auch die Stimm- und Sprechübungen willentlich beherrscht werden, so folgen Übungen im Lesen und Deklamieren von Gedichten. Zuletzt werden selbständige und freie Rede geübt. Die Person wird dann in einer letzten Prüfung emotionalen Belastungssituationen ausgesetzt, er muss Aufträge erledigen, und vor Fremden sprechen. Die Voraussetzung für den Erfolg der Methode ist neben einer allgemeinen positiven Gemütsstimmung die permanente, gewissenhafte Selbstkontrolle und tägliches Üben. Bereits geringe Vernachlässigungen können zu Rückfällen fuhren. (Gutzmann 1888, 40ff)

Literatur

Gutzmann, A.: Das Stottern und seine gründliche Beseitigung durch ein methodisch geordnetes und praktisch erprobtes Verfahren. Berlin 1888